Marius Babias
Décollage des Kapitalistischen Realismus
Der neue Künstler-Typus der Endneunziger, oder: Wie ein sozialer Lebensstil gegen das zum Ästhetischen Ornament degenerierte Politische eingetauscht wurde
Berliner Kunstherbst 1998: Berlin Biennale, Kunstmesse Art Forum, “Sensations”-Ausstellung im Hamburger Bahnhof und Galerien-Rundgänge. Berlin, die undefinierte Stadt, entwickelte sich nach Mauerfall und im Schatten des Baubooms zur Kunstmetropole. Verliererin des nicht für möglich gehaltenen Aufstiegs der Kunst zum kulturellen Leitmedium: die Off-Kultur. Gewinner: ein neuer Phänotyp des “Künstlers”, der die sozialen und politischen Folgen der “Wiedervereinigung” restlos partikularisiert hat.
In Berlin-Mitte, dem East Village Europas, haben sich zwischen all den Galerien, Boutiquen und Clubs die bohemistischen Lebensstile überlagert und einen neuen Großstadt-Typen hervorgebracht, den Limer (less income more experience), der minimal verdient und maximal sein Projekt auslebt. Die Zeit der Party-Hänger aus dem Milieu der Spassguerilla und der Depri-Kreativen aus der Hausbesetzerszene ist vorbei. Um die politische Mechanik zu veranschaulichen, die “künstlerische” Aktivitäten in den sechziger und siebziger Jahre entfalteten und wie sie in den neunziger Jahren in die Berlin-ist-eine-Hauptstadt-Ideologie eingebaut worden sind, hier zwei Beispiele.
Burn, ware-house, burn!
1967 lancierte die Kommune 1 ein Flugblatt (“wann brennen die berliner kaufhäuser?”), das einen Großbrand in einem Brüsseler Kaufhaus mit dem Vietnamkrieg und der Situation in Berlin verband: “unsere belgischen freunde haben endlich den dreh heraus, die bevölkerung am lustigen treiben in vietnam zu beteiligen: sie zünden ein kaufhaus an, dreihundert saturierte bürger beenden ihr aufregendes leben und brüssel wird hanoi.” Das Flugblatt fordert indirekt zur Brandstiftung auf (“in der konfektionsabteilung von kadewe, hertie, bilka oder neckermann diskret eine zigarette…