Jürgen Raap
De Demain a Delvaux
Musée Grand Curtius, Lüttich, 22.3. – 28.6.2009
Für die belgische Stadt Lüttich steht das Jahr 2009 kulturell im Zeichen von zwei Neueinweihungen. Der historische Gebäudekomplex Grand Curtius wurde umgebaut und bietet nun ausreichend Platz für fünf Fachmuseen unter einem Dach. Und da zugleich der Neubau des Bahnhofs Liège-Guillemins im „futuristischen“ Stil des spanischen Architekten Santiago Calatrava in Betrieb genommen wird, verbindet man beide Ereignisse miteinander: Die Eröffnungsausstellung im Grand Curtius ist den Bahnhofsbildern des Surrealisten Paul Delvaux (1897-1994) gewidmet.
„L’age du fer“ (Das Zeitalter des Eisens, 1951) ist sowohl vom Titel her als auch ikonografisch ein Schlüsselbild für diesen Motivkomplex im Gesamtwerk des Malers. Ein weiblicher Akt, waagerecht hingestreckt auf einer weiß betuchten Liege, nimmt den Vordergrund ein. Im Hintergrund steht ein Zug abfahrbereit auf dem Bahnsteig. Telegrafenmasten, Laternen, ein Krangestänge und ein Turm komplettieren die nächtliche Bildatmosphäre. Solch einsame, melancholische Frauen- oder Mädchengestalten tauchen immer wieder in den Bahnhofsbildern von Delvaux auf. Im Gemälde „Train de nuit“ (Nachtzug, 1947) bevölkern sie einen Wartesaal, und das Bild „Le dernier wagon“ (1975) zeigt einen weiblichen Akt in einem ansonsten völlig leeren Zugabteil. Das weibliche Element stellt einen ikonografischen Gegenpol zu der mechanisch-maschinellen Welt der Lokomotiven und der Eisenbahnwaggons dar.
Paul Delvaux hat jenem Zeitalter der Eisenbahn ein bildnerisches Denkmal gesetzt, in dem er selber aufgewachsen ist. Breite Schienenstränge prägten in seinen Jugendjahren die Industrielandschaft des einstigen wallonischen Montanreviers, dort, wo der Maler geboren wurde, in Antheit bei Lüttich. Bahndämme und Eisenbahntunnel durchschneiden die Viertel der Großstädte. Diese Infrastruktur hatte…