Dirk Schwarze
Das Verlangen nach Poesie
Zur documenta-Konferenz im Castello di Rivoli (Turin)
In seinem Katalog-Beitrag zur Berliner Ausstellung „60 Jahre – 60 Werke“ befand Mattias Winzen, die documenta habe Ende der 80er-Jahre ihren historischen Auftrag erfüllt. Danach sei die Kasseler Ausstellung zum Zirkus und zum Event verkommen, zu einem Ereignis, das Standortdenken bediene und die Künstler sowie deren Werke benutze, um politisch folgenlose Statements abzugeben.
Winzen war nicht der einzige, der nach Schluss der documenta 12 (2007) fragte, ob sich nicht dieses Ausstellungsformat angesichts der zahllosen Biennalen und modernen Kunstmuseen überlebt habe. Er stellte also die Notwendigkeit und die Zukunft der documenta in Frage.
Für die acht Kuratorinnen und Kuratoren, die am 18. und 19. September zu einer documenta-Konferenz ins Castello die Rivoli bei Turin gekommen waren und mit deren Namen sich die documenta-Ausstellungen 5 bis 13 (1972 bis 2012) verbinden, stellte sich diese Grundsatzfrage nicht. Vielleicht einfach deshalb nicht, weil alle auf Einladung von Carolyn Christov-Bakargiev ins Castello di Rivoli gekommen waren, die in diesem faszinierenden Museumsschloss derzeit noch Hausherrin ist und die im Jahre 2012 die documenta 13 leiten wird. Vielleicht wurde aber auch deshalb die Grundsatzfrage nicht gestellt, weil alle sich der großen und mittlerweile international vernetzten documenta-Familie zugehörig fühlen und bei aller Kritik in diesem Familienbund bleiben wollen. Oder, wie es Jan Hoet formulierte: „Für jeden Kurator ist es ein Traum, zur documenta eingeladen zu werden.“
Dabei hätten die meisten der documenta-Macher der Ausgangsthese von Winzen überhaupt nicht widersprochen: Natürlich ist der historische Auftrag, der so nie festgeschrieben wurde, aber…