Karlheinz Lüdeking
DAS VERGNÜGEN DES KÖRPERS
»Dem Körper kann nicht mehr die Bedeutung zukommen, die frühere Zeiten in ihm gesucht und nur in ihm gefunden haben. Er ist und bleibt – zumindest nach der Seite seiner höchsten Bestimmung – für uns ein VERGNÜGEN.«
KUNSTFORUM International, Band 132 (November 1995), p. 227
Die beiden zitierten Sätze bilden den Schluß eines Essays über “Die Vergangenheit des Körpers”. Ursprünglich sollten sie eine pointierte Zusammenfassung der darin vorgetragenen Überlegungen geben. Sie sollten die zentrale These aussprechen, die bereits in dem programmatischen Titel avisiert worden war. Doch ein einziges Wort – das allerletzte – vollzieht plötzlich eine Wendung, die niemand erwarten konnte. Sie kommt völlig überraschend. Sogar für den Autor selbst.
Das liegt daran, daß es sich bei dem letzten Wort sozusagen um ein “Implantat” handelt, welches dem Gewebe des Textes durch einen unbefugten und unsachgemäßen Eingriff eingesetzt wurde. Dabei konnte das Immunsystem der Schrift, der auf diese Weise zu Leibe gerückt wurde, den Fremdkörper noch nicht einmal abstoßen, weil dieser aufgrund seiner syntaktischen und semantischen Assimilierung gar nicht eindeutig als ein solcher zu erkennen war. Da das Implantat zudem auch nicht wieder entfernt werden kann, wird der Text zeitlebens mit einer Verunstaltung existieren. An seiner auffälligsten Stelle ist er für immer entstellt.
Auch Texte sind so ihrer Körperlichkeit verfallen. In diesem Fall begegnen sie uns sogar in einer erstarrten materiellen Gestalt, die – sobald sie einmal entstanden ist – nicht mehr verändert, sondern nur noch durch Prothesen ergänzt werden kann. Daß sich der menschliche Leib schon lange von derartigen…