Anne Krauter
Das Selbstporträt im Zeitalter der Fotografie
Württembergischer Kunstverein, Stuttgart, 19.4. – 9.6.1985
“Selbstbildnisse sind Bekenntnisse eines inneren Zustandes.” Otto Dix beschreibt damit eine der zentralen Ursachen für das Interesse des Künstlers am eigenen Ich. Die Palette der Ausdrucksmöglichkeiten ist daher denkbar breit gefächert, umfaßt Selbstdarstellung und Verfremdung ebenso wie Analyse und Protest, ist ständig wiederkehrendes Thema wie bei Félix Valloton und Ferdinand Hodler, oder Einzelwerk, das einen bestimmten Zeitpunkt im Leben des Künstlers markieren kann. Trotz dieser Vielfalt und dem starken Interesse des Betrachters für das Selbstporträt, das verspricht, über die Persönlichkeit des Künstlers mehr zu verraten als jedes andere Werk, stellt die Ausstellung im Württembergischen Kunstverein das erste Unternehmen im Hinblick auf eine Ikonographie des Selbstporträts dar. In Zusammenarbeit mit dem Musée cantonal in Lausanne entstanden, bietet sie einen Überblick der letzten 150 Jahre zu diesem bedeutungsvollen Thema der abendländischen Kunstgeschichte. Die Beschränkung auf diesen Zeitraum bedeutet zugleich die Gegenüberstellung der “traditionellen” künstlerischen Medien, der Malerei und der Zeichnung, mit der Fotografie. Seit der Entdeckung der Daguerrotypie 1839 existieren sie nebeneinander und beeinflussen sich wechselseitig. Denn die Fotografie ersetzt nicht nur, allen Unkenrufen zum Trotz, das Gruppenbild und das Einzelporträt in der Malerei, sie eröffnet ihr völlig neue Möglichkeiten. So ist Franz v. Lenbachs Selbstporträt mit Familie nach einer fotografischen Vorlage entstanden, die er bereits nach malerischen Kriterien komponiert hat, um sie später auf die Leinwand zu übertragen. Edgar Degas bedient sich als einer der ersten des Selbstauslösers statt des Spiegels, aber auch Munch, Kirchner und Schiele posieren vor…