Paul Virilio
Das öffentliche Bild
Hinter der Wand sehe ich das Plakat nicht mehr, und vor der Wand drängt es sich mir auf, sein Bild nimmt mich wahr. Diese Umkehrung der Wahrnehmung, diese Suggestion der Werbephotographie findet sich in allen Größenordnungen, auf Plakatwänden wie in Zeitungen oder Zeitschriften; keiner einzigen dieser Darstellungen fehlt der “suggestive” Charakter, er bildet die Existenzberechtigung der Werbung.
Die graphische oder photographische Qualität dieses Bildes, seine sog. hohe Bestimmtheit, stehen hier nicht mehr für eine Ästhetik der photographischen Genauigkeit und Schärfe, vielmehr geht es dabei lediglich um die Suche nach einem Relief, einer Tiefenstruktur, nach einer dritten Dimension, welche die Emanation der Botschaft selbst wäre, einer Werbebotschaft, die über unsere Blicke jene ihr so sehr fehlende Tiefe und Dichte des Sinns zu erreichen sucht. Wir brauchen uns also nichts vorzumachen angesichts der Werbeerfolge der Photographie: das ‘phatische Bild’, das Bild, das die Aufmerksamkeit auf sich zieht und den Blick fesselt, ist kein mächtiges Bild mehr, sondern ein Negativ, das nach Art des kinematographischen Photogramms sich in einen Zeitablauf einzugliedern versucht, in dem Optik und Kinematik ineinander übergehen.
Als Medium der Oberfläche hat die Werbephotographie gerade durch ihre hohe Auflösung teil an diesem Prestigeverlust des “Vollen” und “Aktuellen” – in einer Welt der Transparenz und Virtualität, in der die Repräsentation mehr und mehr von einer authentischen öffentlichen Präsentation ersetzt wird. Trotz einiger veralteter Tricktechniken unflexibel, zeigt die Photographie der Anzeigen beinahe nur mehr an, daß sie ins Hintertreffen geraten ist gegenüber den Erfolgen einer “Tele-Präsenz”, einer “Fern-Gegenwart”, die die Gegenstände…