Germano Celant:
Das Libretto ist gut, aber die Oper findet nicht statt
KUNSTFORUM: Die documenta hatte immer den Anspruch zu zeigen, was in der Kunst gerade passiert. Haben Sie neue Eindrücke gesammelt?
CELANT: Es existiert offenbar eine Art von Schizophrenie zwischen der Idee, den Verlautbarungen und der Ausstellung selbst. Die Ausstellungsmacher schreiben zwar etwas auf, aber die ‘Schrift’ im Gebäude ist dann völlig anders.
Die Idee könnte theoretisch ganz interessant sein, diese Neueinschätzung des Modernismus oder wie immer sie das nennen wollen. Aber das bleibt Projekt, was bedeutet, daß es in der Erfüllung der Vorgaben ein Versagen gibt. Ich glaube, dieses Auseinanderklaffen von Idee und Realisation ist so enttäuschend für alle. Die Ausstellung verrät nur eine Konfusion von Sprachen, die nicht absichtlich ist. Das ganze ist sehr oberflächlich, konfus, banal, flach. Das ist mein Eindruck.
KUNSTFORUM: Wenn sie feststellen, daß es verschiedene Linien, ‘Sprachen’, gibt, welche würden sie für die aktuellste halten?
CELANT: Ich habe immer noch diesen Traum, vielleicht die Illusion, eines ‘Projektes’. Die Organisatoren sagten zwar, sie hätten ein Projekt. Aber das hier ist eben nicht mehr genug, denn Soho liefert so eine documenta jeden Tag. Zweitens verloren sie ein Gebäude, denn sie schlössen alle Fenster, so daß es kein Gefühl für einen besonderen Ort gab, den man ‘documenta’ nennen könnte. Man erinnert sich ja an keinen spezifischen Raum. Es gibt also eine Reihe von Gründen, die aus dieser documenta eine Art platten Reifen machen.
Als ich einer der möglichen Kandidaten dieser documenta war, war mein Vorschlag, was ich die ‘Jam-Session der Künste’ nenne….