Harald Welzer
Das große Schweigen
Stellen Sie sich vor, unsere Welt geht zugrunde, aber niemand spricht darüber. Unsere Welt wohlgemerkt, nicht DIE Welt: also jene etwa zweihundert Jahre lang extrem erfolgreiche westliche Welt, die unter sich immer noch steigernder Nutzung fossiler Energien und immer noch sich beschleunigender Zerstörung der Naturressourcen einen historisch unerhöhten Lebensstandard ermöglicht hat. Aber nicht nur das: auch einen aus der Perspektive anderer kultureller oder historischer Lagen ganz unerhöhten zivilisatorischen Fortschritt in Sachen Gesundheit, Recht, Bildung, formale Gleichheit etc. Nun gerät das alles unter Druck: auf den Finanzmärkten wird gegen Nationalstaaten spekuliert, die Staatsschulden türmen sich himmelhoch, und die Klimaerwärmung wird die Kulturen der Welt in Gewinner und Verlierer sortieren und zu ganz neuen, und gewiss härteren Konkurrenzen um die verbleibenden Überlebensressourcen führen.
Komischerweise spricht man aber nicht darüber, dass dies das Ende der Welt ist, wie wir sie kannten. Das einzige Thema, das Politik und Öffentlichkeit konstant in Aufregung hält, ist die Euro-Krise, aber im Grunde sagt auch hier niemand, dass die Sache schiefgehen wird: Man kann ja keine Schuldenkrise mit Schulden lösen, und man kann auch keine Staatengemeinschaft, die allein ökonomisch begründet ist, zusammenhalten, wenn die Ökonomie kollabiert. Im Gegenteil: der gemeinsame Währungsraum wird jetzt zu einem Gefängnis, dass die demokratischen Freiheiten und Handlungsspielräume der Nationalstaaten empfindlich einschränkt, ohne dass zur Legitimation mehr aufgeboten wird, als der neoliberale und antidemokratische Kampfbegriff von der „Alternativlosigkeit“ der Entscheidungen staatsferner Eliten.
Aber wieder: Schweigen. Zu all dem findet keine leidenschaftliche Debatte in den Feuilletons der Republik statt, niemand geht hierzulande gegen…