ULF POSCHARDT
Das Erhabene ist jetzt
ÜBER DIE IMPLOSION DES ZEITKERNS IN BILDERN VON BARNETT NEWMAN
Es war ein Familienausflug im August 1949, in dessen Verlauf Barnett Newman eine Erfahrung durchlebte, die seine Kunst prägen sollte. Im südwestlichen Eck Ohios berührte ihn der Anblick einer weiten Landschaft, versehen mit indianischen Grabhügeln, existentiell. Er erfuhr sich als “seiend” in der Begegnung mit einem von Menschen geschaffenen zur Natur gewordenen Modifikation der Landschaft. “Looking at the site you feel, Here I am, here“, sollte er sich später erinnern. Es war eine Epiphanie des Selbst in der Konfrontation mit einem unbegrenzten Raum. Für seine Kunst hatte dies unmittelbare Konsequenzen: Die Anwesenheit des Betrachtern als ontologische Bestimmung für das Kunstwerk und – auf der anderen Seite – die Seinserfahrung des Betrachters beim Betrachten eines Kunstwerks sollten ihn beschäftigen. Die Idee “Man is present”1 brachte den Betrachter vehementer in die innerste Logik des Kunstwerkes ein als dies gerade die modernistische Malerei im 20. Jahrhundert unternahm.
Die Erdhügel im Ohio Valley erschienen Newman in ihrer Formation als eines der größten Kunst-Monumente der Welt. Verglichen damit waren die Pyramiden reines Ornament. Die Erfahrung eines gestalteten Raums war existenzial in dem Sinne, dass der Raum an sich erfahren werden konnte – im Bezug zum eigenen Sein. Philosophisch ausgedrückt als “seiend im (unendlichen) Raum”.
Die Unendlichkeit des Raums als Metapher für die Abstraktheit des Raumes ließ diesen verschwinden. Die Kategorie des Raumes verflüchtigte sich in der Ekstase des Augenblicks der Seins-Erfahrung. “The sensation is the sensation of time”, schrieb Newman im selben Jahr….