Das Bild – das Image – und der Mensch
von Klaus Honnef
Vom scharfen Sonnenstrahl gemalt,
Wie gibst du wieder voll und treu,
O herrlich Bild, der Sterne Glanz,
Der Augen Licht, der Züge Huld!
O Menschengeist, so wunderbar,
O neuerfundenes Zauberwerk!
Apelles lauschte der Natur
Fürwahr ein schöneres Bild nicht ab.
Eine Hymne an die Fotografie
von Papst Leo XIII.
Übersetzung v. P. Baumgartner
Auf den Bildern prangen grell geschminkte Gesichter. Überproportional große Augen beherrschen sie. Lidschatten und aufgeklebte, überlange Wimpern haben die Augen um ein Erhebliches ihres natürlichen Umfangs vergrößert. Betont ausgemalte Lippen, leicht aufgeworfen, öffnen sich in verführerischer Sinnlichkeit. Die Wangen hohl. Und wie in den berühmten Porträts der Marlene Dietrich moduliert auch hier eine geschickte Lichtregie die hohen Backenknochen sanft und zugleich markant heraus. Die Gesichter muten seltsam starr an, maskenhaft. Das penible Durcheinander der Frisuren läßt auf sorgfältige Planung und die ausgiebige Verwendung einschlägiger Haarfestiger schließen. Ein jedes Gesicht ein “Typ”. Alle zusammen – zum Verwechseln ähnlich. Wie die Kleidung, die ihre Besitzer tragen. Mitunter repräsentiert auch nur ein T-Shirt oder eine originell gemusterte Hose, ein Minirock statt eines Gesichts einen Menschen. Der Unterschied fällt nicht besonders ins Gewicht. Effeminierte Gesichter zumeist, changierend zwischen David Bowie und Catherine Deneuve, mit einem Schuß Cher dazwischen.
Die Bilder stammen von Sharon Smith. Sie sind Bestandteil einer Bilderserie. Sharon Smith fotografierte sie in Manhattans fashionabler Discothek “The Ritz”. Das Jahr war 1980. Die fotografischen Bilder zeigen die jungen Leute, die “Typen”, die sich seinerzeit dort tummelten. Verrückte Leute, verrückt angezogen, auffallend, schreiend bunt; in…