Vom Theater der Erinnerung zur Dekonstruktion der Bilder
Gertrud Koch
Das Bild als Schrift der Vergangenheit
Wie MERKWÜRDIG, wie unaussprechlich merkwürdig, daß hinter der Wand,
hier dieser Wand, auf dem Fußboden ein Mensch sitzt, die langen Bein
ein roten Stiefeln ausgestreckt, und mit einem bösen Gesicht.
Man bräuchte nur ein Loch in die Wand zu bohren und hindurchzuschauen,
und sofort wäre sichtbar, wie dieser böse Mensch dasitzt.
Aber es lohnt nicht, an ihn zu denken. Was ist er schon?
Ist er nicht ein Teilchen jenes toten Lebens, das uns aus den eingebildeten
leeren Räumen zugeflogen ist? Wer er auch sei – Gott mit ihm.1
Daniil Charms
Das kurze Prosastück Daniil Charms’ – oder besser gesagt, dessen Übersetzung – lese ich als Parabel auf das Problem, um das es hier gehen soll: um die Sichtbarmachung der Einbildung, um die Wand zwischen den Räumen der Lebenden und der Toten, dem Merkwürdigen des Gedenkens und seiner Bildhaftigkeit. Die Wand fungiert als eine Projektionsfläche, die zwei Räume trennt, von denen nicht klar ist, ob sie nur durch den grammatischen Konjunktiv verbunden werden könnten oder durch die Annahme eines spezifischen Blickes.
Wenn die Existenz des Anderen mir durch eine Wand verstellt ist, ich seiner in seiner Objekthaftigkeit nur gewahr werde durch das Guckloch, das meinen Blick bündelt und fokussiert wie der einfallende Lichtstrahl, der in eine camera obscura dringt, wenn ich also Charms’ Prosastück als Parabel lese, dann ist es einer der vielen Kommentare zu Platons Höhlengleichnis.
Im ersten Absatz wird das Bewußtsein als Widerschein von Ideen gesehen, die verstellt sind. Im zweiten Absatz wird der Ausgang aus…