Cuteness und Kitsch
Die Niedlichkeit und das Selbst
Von Joseph Imorde
Wer Dualismen mag, findet möglicherweise Gefallen an dem Begriff cuteness, wie ihn Sianne Ngai konturiert.1 Cuteness ist bei ihr die zum Gegensatz abgeschliffene acutezza oder acuteness. Das Wegfräsen der ersten Silbe, die Fachleute sprechen von Apharäse, stellt in diesem speziellen Fall die Bedeutung des Ursprungswortes auf den Kopf. Scharf und spitz steht nun gegen weich und rund, das Scharfsinnige gegen das Süsse, Schläfrige, Bedenkenlose.2Das ist schwer zu übersetzen. Die deutsche Niedlichkeit kommt nicht annähernd heran, wenn es darum geht, die im Englischen immer auch aufgerufene Polarität des Begriffs abzubilden. Das Wort cute lässt sich bis in die 1850er Jahre zurückverfolgen. Es taucht zuerst in der häuslichen Sphäre auf, im semantischen Feld von Frauen und Kindern, im Bereich eines „feminine spectacle“.3
Das Männliche agiert an anderen Orten, wenn Genderunterschiede räumlich organisiert werden. Die Unterscheidung eines emotionalisierten Innen und eines rationalen Außen4 konnte zum Beispiel der junge Sigmund Freud beschwören, als er seiner späteren Frau Martha Bernays 1883 das Zusammenleben in einer kleinen Wohnung ausmalte, wortreich und lange vor der Erfindung der Psychoanalyse. Das häusliche Idyll wird von ihm dinglich verdichtet und zuerst funktional differenziert. Da gibt es Gegenstände und Geräte, die von „ernster Arbeit“ zeugen, sie gehören dem Alltag an und sind stetem Wandel unterworfen. Sie verschleißen, werden altmodisch, verlieren ihren Nutzen und können deshalb leicht ersetzt bzw. erneuert werden.
Daneben gibt es aber auch Dinge, die, so Freud, „Kunstsinn“ verraten, weil sie ästhetisch überformt wurden. Diese Gegenstände sind den kontingenten Wechselfällen des Lebens und…