Hans-Jürgen Hafner
Cranach der Ältere
Städel Museum, Frankfurt, 23.11.2007 -17.2.2008
Fast das gesamte obere Bilddrittel der kleinen Tafel beherrscht eine, nur um einen Tick nach links aus der Mitte geschobene, mächtige Dornenkrone. Seltsam unstimmig dazu, wie in Drehung versetzt, schließt dicht daran geschoben das Antlitz des Leidensmannes an. So kompakt dieses Bildformat, die darin zumal auch mittels malerischer Umsetzung fest verankerte Komposition birst schier vor Dynamik. In diesem – mit Blick auf Inkarnat und Haare, die im offenen Mund sichtbare Zahnreihe, Lichtreflexe in Augen und darüber sogar in den Blutrinnsalen – mit geradezu naturalistischer Akkuratesse gestaltete Antlitz Christi erfährt die aus der Schweißtuchüberlieferung hergeleitete Bildformel des ‚wahren Antlitzes’ eine recht bemerkenswerte Umdeutung: eine Wendung ins Konkrete.
Zusammen mit der die übliche Frontalität überwindenden Komposition, den veristischen Details der Ausführung, weist zuletzt die Andeutung des Körpers, der Büstenansatz auf dieser 1520/25 datierten Tafel in eine neue Richtung. Lucas Cranach malt nicht mehr das Abbild des Antlitzes Christi. Er malt, ja, porträtiert förmlich Christus wie eine echte Person.
Dieser „Christuskopf mit Dornenkrone“ ist ein Ausnahmewerk in der von Städel-Kustos Bodo Brinkmann zugleich materialstark wie umsichtig, bei aller Fülle jedoch zugänglich kuratierten Ausstellung.
Das Bild sticht deutlich und trotz der vielen in dieser Schau angesprochenen Facetten in der ebenso langen wie erfolgreichen Karriere Cranachs zwischen der expressiv-findigen Wiener Jugendzeit bis zum routinierten, oft aber formelhaft erstarrten Spätwerk heraus. Zumal als Abgrenzung zum bekannten, in der florierenden Wittenberger Werkstatt (fast seriell und mit wechselnder Qualität produzierten) sakral-protestantischen Motivfundus oder zur profanen Bildwelt des Hofmalers eröffnet ein solcher Einbruch an…