Johannes Meinhardt
Contenance – Fassung bewahren
»Subjektivität und Melancholie«
Württembergischer Kunstverein, 17. 9. – 13. 11. 2005
Mit dem Titel “Contenance – Fassung bewahren” reißt diese Ausstellung von zehn Künstlerinnen, Künstlern und Künstlerpaaren (sieben zeigen Videoarbeiten, drei Fotografien) ein thematisches Feld an, das zu sehr unterschiedlichen Entfaltungen fähig, zugleich aber auch sehr undeutlich und verschwommen ist. Contenance als bewusste Haltung der Selbstbeherrschung ist – wie auch andere bewusste Haltungen und Einstellungen – ein hoch dialektischer Begriff: sie ist ein eigentümlicher Schnitt- und Umschlagspunkt von gesellschaftlichen und individuellen Prozessen; von Aspekten der Gewalt bzw. der Zu- und Abrichtung in der Geschichte der Zivilisation und von Aspekten der Bewusstwerdung, der Emanzipation von der Natur der Affekte (die ihrerseits wieder nur ein kulturelles Phantasma ist, ein kulturelles Schreckbild). Die Dialektik der Entstehung, der Bildung von Subjektivität hängt eng mit dieser Haltung zusammen: gezwungen durch den Druck der Gesellschaft (der sich als Druck der Natur oder als Sachzwang verkleidet) kommt das Subjekt dazu, im Prozess der Verinnerlichung der Zwänge und Nötigungen Bewusstsein auszubilden; Bewusstsein, das zum Widerstand fähig ist, das die blinde und sprachlose Gewalt der gesellschaftlichen Zwänge zu kritisieren vermag. Eine ganze moderne Tradition der Analyse der Subjektivität kreist um dieses dialektische Paradoxon: auf welche Weise kann ich mich, unter dem Druck des Erfasstseins, selbst zu fassen bekommen – oder, anders gefragt: auf welche Weise bin ich erfasst, und dadurch dazu genötigt und befähigt, mich zu fassen.
Von der melancholischen Skepsis, die Sigmund Freud in “Das Unbehagen in der Kultur” dem Prozess der Zivilisation entgegenbringt, bis…