Club Dadada
Die Avantgarde der Vernetzung oder der Aufstand der Unschuld gegen die Erfahrung
Kritik von Christoph Doswald
Gespräch mit dem Kurator Paolo Bianchi
Die Presse lamentierte, die Zuschauer blieben zu Hause, die Bürger sammelten Unterschriften, und der Intendant fühlte sich mißverstanden. Im schon totgesagten, ehemaligen Festival der Provokationen, dem “steirischen herbst” in Graz, glomm noch einmal der aufrührerische Geist der siebziger Jahre. Dafür verantwortlich war vor allem einer, Paolo Bianchi, 34, Kunstpublizist und Ausstellungsmacher aus der Schweiz. Seine Deklamation einer neuen Avantgarde, die sich vom traditionell-bürgerlichen Begriff der künstlerischen Moderne durch eine öffnende Entideologisierung abzugrenzen sucht, konkretisierte sich vorab in einer Ausstellung mit dem Titel “100 Umkleidekabinen. Ein ambulantes Kunstprojekt” und in einem dreitägigen Happening unter dem Namen “Club Dadada”.
Ausloten der Kunstperipherie
Im stillgelegten “Bad zur Sonne”, einer 1874 erbauten und vor zwei Jahren wegen Baufälligkeit geschlossenen Badeanstalt, beschwor der Ausstellungsmacher den Geist “der retrovisionären Avantgarde” und annoncierte “ein Kunstspiel, das innerhalb der Regeln alles erlaubt und bis zum Letzten geht” (Bianchi).
Griffiger als die Kabinenausstellung illustrierte das dreitägige Multimedia-Happening die von Peter Strasser, dem Hausphilosophen des “steirischen herbstes”, ausgerufene “Nomadologie der neunziger Jahre”. Insgesamt 46 Gruppen und Künstler – darunter Stiller Has, Corinne Curschellas & the Recyclers und Les Reines Prochaines – verwandelten das vom Abriß bedrohte “Bad zur Sonne” in ein intermediäres Tollhaus, oder, je nach Lesart, in ein künstlerisches Babylon.
Die von Bianchi im Club Dadada programmierte neue Avantgarde der Vernetzung operierte ohne Berührungsängste zu den Gattungsbegriffen. Mongoloide Musiker experimentierten im Techno-Dschungel (Station 17 aus Hamburg), ehemalige Zürcher Wohlgroth-Aktivisten zelebrierten im Kunstkontext…