JÜRGEN RAAP
Clemens Weiss
“Aftermath Series (11. Sept.)”
Galerie Seippel, Köln, 13.9. – 10.10.2002
Clemens Weiss lebt seit 15 Jahren in Manhattan und kennt dort inzwischen sämtliche Hochhäuser. Die Beschäftigung mit dieser Architektur beeinflusste seine Skulpturen: Glasstelen, in deren Hohlkörper Zeichnungen und Textmaterialien eingefügt sind. Eine Skulptur ist für ihn eine dreidimensionale Zeichnung. Von diesem theoretischen Ansatz her sind auch seine Zeichnungen auf Zeitungen zu begreifen: Seit 1988/89 sammelt Weiss Zeitungen als Materialien zu einem Archiv, in das er dann im exakten Wortsinn hineinzeichnet. Er konfrontiert das kurzzeitige Medium Tageszeitung mit dem museal-konservatorischen Ewigkeitswert der Zeichnung: Die Pressemeldungen von gestern haben wir schnell wieder vergessen, doch die Botschaft einer 3000 Jahre alten Höhlenzeichnung ist als Kulturerbe in unserem kollektiven Bewusstsein verankert.
Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hat Weiss 120 Blätter von verschiedenen Ausgaben der “New York Post” und 200 Blätter der “New York Times” überzeichnet. Die tagesaktuelle Berichterstattung über die Zerstörung des Word Trade Centers unterlag nicht den üblichen Mechanismen medialer Schnelllebigkeit, denn uns allen wurde sofort bewusst, dass die Ereignisse jenes Tages eine historische Dimension haben: Die Weltöffentlichkeit erlebte eine neuartige Form von Angriff, deren Urheber sich skrupellos über die Haager Landkriegsordnung und andere internationale Konventionen hinwegsetzten – sie wollten ja möglichst viele Zivilpersonen töten. Eine Dekade nach dem Ende des Kalten Krieges sieht sich der Westen mit einem neuen Bedrohungsszenario konfrontiert.
Weiss wählt auf der jeweiligen Zeitungsseite Stellen aus, die für das Layout eine kompositorische Bedeutung haben. In der Galerie Seippel sind die “New York Post”-Blätter chronologisch aufgereiht, und so…