Heinz-Norbert Jocks
Cindy Sherman
»Gegengängig auf Widerruf«
Fotoarbeiten 1975-1995
Deichtorhallen, Hamburg, 25.5. – 30.7.1995
Konsthall, Malmö, 26.8. – 22.10.1995
Kunstmuseum, Luzern, 8.12.1995 – 11.2.1996
Daß Fotografie sich wie ein Abkömmling von Malerei profilieren kann, belegt eine erste von der Künstlerin Cindy Sherman selbst arrangierte Retrospektive in den Hamburger Deichtorhallen. Vereint sind zwanzig Jahre eines Schaffens, dessen schnelle Entwicklungskurve von den schwarzweißen “Film Stills” über die “History Portraits”, die “Civil Wars-” und “Sex Pictures” bishin zu den grotesken Monsterfratzen jüngsten Datums reicht. So blindlings zusammengestückelt, als seien sie noch vor dem letzten Nahtstich Frankensteins Labor entlaufen, lösen diese einen kurzen Schauder des Entsetzens aus, wobei hinter dem Vibrieren der Nerven ein Gespenst der Schönheit schlummert.
Aus Angst vor Vereinnahmung immer neuen Bildideen aufgeschlossen, sorgt die heute Vierzigjährige von Zeit zu Zeit für erneuten Nervenkitzel, indem sie uns allerlei Geschmacklosigkeiten an den Kopf knallt, gruselige Horrorvisionen verbreitet und visuelle Ohrfeigen erteilt. Die Amerikanerin, in Glenn Ridge, New Jersey, geboren, ist mehr als nur eine raffinierte, mit allen Tricks bannender Simulation arbeitende Superfotografin verfehlter Selbstdarstellung. Um ihre künstlerische Potenz zu erklären, genügt es nicht, ihr bisheriges Werk als Kritik an dem zu werten, was generell unter der Idee von Authentizität kursiert. Auch zielt ihr enormes Bildbewußtsein nie nur auf Entlarvung auswendiggelernten Lebens, tradierter Kunst, massenhafter Kinoklischees, überspielter Rollenzwänge, kollektiver Träume oder moderner Mythen. Auch verpassen wir mit einem Begriff wie Ästhetik des Ekels die Einfahrt ins volle Verständnis. Zudem reitet der Stern am amerikanischen Kunsthimmel nicht bloß mit auf der Welle fröhlichen Jargons der Uneigentlichkeit. Darüber hinaus…