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Titel: Konstruktionen des Erinnerns · von Harald Szeemann · S. 168 - 169
Titel: Konstruktionen des Erinnerns , 1994

Harald Szeemann
Christoph Rütimann

Christoph Rütimann, der in Plastik, Zeichnung, Video, Ton, Performance, Fotografie, Worten, also in konsiderabler Bandbreite wirkt, der die Gratwanderung zwischen Evidentem und Nichtevidentem resolut weiterführt, hat die Phase der Hinterfragung der Dinge, des scheinbar normalen und folglich mehrheitlich Akzeptierten längst in die Bereiche der autonomen Realisation überführt. Die “Schiefe Ebene” in Bordeaux ist prägnantes Beispiel dafür. Sie nimmt über 300 Quadratmeter der “grande nef” ein. Eine solche massive Präsenz ließ vor der Fertigstellung hoffen und befürchten, daß der Raum, auf einer Seite so okkupiert und belastet, kippen könnte, aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Dies ist nicht eingetreten. Man ist versucht, die schiefe Ebene als Masse sich zu denken, das Gerüst, den Unterbau dazu. Das ist falsch. Keine Viertelpyramide wiegt hier im Geiste schwer. Die schiefe Ebene ist eine angehobene Schaufläche in Dreiecksform. Zwar ohne Horizontlinie, aber durch die Perspektive eingegrenzt, obwohl der höchste Punkt sich unter dem niedrigsten Gebäudeteil, unter den Balken des Umgangs weniger als Spitze denn als Berührungspunkt benimmt. Die schiefe Ebene ist integriert. Die bodennahe Hypotenuse schneidet auf ihrem diagonalen Weg einen ersten Pfeiler und gibt zwei weitere an die Ebene ab. Sie ist als ortsbezogen definiert und ist durch ihre leichte Abhebung vom Boden und den Trennzentimeter von den Wänden ein Schweres und ein Schwebendes, das sich temporär in dieser Raumsituation niedergelassen hat, präsent, aber wie auf dem Sprung, sich weiter auszudehnen. Sie ist also weit entfernt in ihrem Erscheinungsbild von ihrer physikalischen Definition als einer geneigten Fläche, als einfache Maschine zum Heben…


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