Sabine Schütz
Christian Boltanski -Le Lycée Chases
Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen
Düsseldorf 28.8. -11.10.1987
Katalog: DM 25,-
Der Raum ist groß, düster und fast leer. Nur an den Wänden entlang sind Ensembles aus Bildern und Kästen ordentlich aufgereiht. Die Lichtquellen, nüchterne schwarze Schreibtischlampen älteren Datums, wie man sie noch heute vornehmlich in Behörden vorfindet, strahlen die Bilder direkt und aus geringster Entfernung an, so daß Details zugleich schlaglichtartig aus der schummrigen Umgebung herausgeschält und – von den Lampenschirmen – teilweise verdeckt werden. Soviel ist erkennbar: Die Bilder, die in das gelbliche Lampenlicht getaucht sind – 12 große und wenig mehr postkartenformatige – zeigen jugendliche Gesichter, deren Physiognomien allesamt ein unbestimmtes Lächeln aufweisen. Unbestimmt vor allem deshalb, weil es sich allem Anschein nach um so stark vergrößerte Fotografien handelt, daß jeder Kontur, jegliches individuelle Merkmal in weichen, grauschwarzen Flächen untergeht. Die Fotografien, sauber in schwarze Rahmen eingefaßt, hängen nicht, sondern lehnen an der Wand. Sie stehen auf eckigen Blechbüchsen, die übereinandergestapelt sind wie die Karteikästen in einem penibel geführten Büro. Es drängt sich der Gedanke auf, daß in diesen ausgedienten Keksdosen die persönlichen Daten und Details aufbewahrt werden, die wir in den Gesichtern vergeblich suchen.
Wir befinden uns im »Lycée de Chases«, einer zweiteiligen Installation, die der Franzose CHRISTIAN BOLTANSKI in der Halle des Düsseldorfer Kunstvereins eingerichtet hat.
Das »Lycée de Chases«, so entnehmen wir dem Katalog, hat tatsächlich einmal existiert, und zwar in Wien. Es war ein jüdisches Gymnasium, und das Foto, von dem der Künstler die einzelnen Porträts hochvergrößert…