MICHAEL STOEBER
Chris Cunningham
Kestner Gesellschaft Hannover, 26.3. – 11.7.2004
Aus einer amorphen Fülle von Formen und Farben gewinnt ein Bild an Kontur. Eine junge Frau wird auf der Leinwand sichtbar. Sie ist nackt. Nichts lenkt die Aufmerksamkeit des Betrachters ab von ihrer Nacktheit, kein Accessoire, kein Interieur. Abgesehen von eher vagen Hinweisen durch Hautfarbe, Haartracht und Körperbildung lässt sich über die Frau nichts Bestimmtes sagen. Eine creatio ex nihilo. Ein Archetyp. Die Frau an sich. Mit einer deutlichen Nähe zum malerischen Akt. Sie holt tief Atem, weitet die Brust, spannt die Muskeln an, als überprüfe sie die Tüchtigkeit ihrer physischen Funktionen. Auch hier hat der Betrachter kunstgeschichtliche déjà vus. Die Frau als eine zum Leben erwachte Plastik, die Traumfigur eines modernen Pygmalion. Das muss ganz im Sinne ihres Schöpfers sein, des jungen, britischen Regisseurs und Videokünstlers Chris Cunningham, der durchaus Ambitionen als Maler und Bildhauer hatte, bevor er die Kamera als adäquates Medium und artistisches Ausdrucksmittel für sich entdeckte.
In dieser gigantischen Ortlosigkeit, wo sie ihren Auftritt hat, gesellt sich zu der Frau ein ebenso archetypischer Mann. Auch er ein Akt und eine Skulptur, als wolle Cunningham beweisen, daß er mit der Kamera ebenso gut malen und plastizieren kann wie mit herkömmlichen Mitteln. Nur, um dann mit souveräner Virtuosität die Vorteile seines Mediums auszuspielen. Aus der Ruhe und relativen Unbewegtheit eines Kontrapostes ohne Bodenhaftung bewegen sich die Arme der Frau nach oben, ihre Fäuste rücken vor den Körper, um dann urplötzlich nach vorne zu schießen, in das Gesicht des vor ihr stehenden…