Michael Hübl
Carmen Herrera
Was heißt eigentlich »Blues«?
Pfalzgalerie Kaiserslautern, 23.1. – 2.5.2010
Zu den Argumentationsstandards im Kunstbetrieb gehört der Satz: „Gute Kunst setzt sich immer durch“. Er fungiert dort gewissermaßen als diskursives Kleingeld, kulturdarwinistisch geprägt und leicht zur Hand, wenn es etwa darum geht, einem bekannten Künstler gegenüber einem unbekannteren den Vorzug zu geben – der Verlierer behalte ja immerhin seine Option auf die Zukunft. So jedenfalls will es die Logik des Satzes, und die wiederum leitet sich ab vom Anspruch einer Gesellschaft, die für sich in Anspruch nimmt, dass ihr nichts entgeht: keine noch so entlegene Information, keine noch so unscheinbare Ressource, auch kein im Verborgenen schlummerndes künstlerisches Werk, sofern es bedeutend ist. Selbst die Lebensweisheit des einfachen Volkes scheint dieser Logik Recht zu geben. „Wir haben in Puerto Rico ein Sprichwort“, zitiert die New York Times den Maler Tony Bechara: „Der Bus – la guagua – kommt immer, man muss nur lang genug warten“. Worauf seine Freundin Carmen Herrera heftig lachend hinzufügt: „Tja, Tony, ich stand an dieser Haltestelle 94 Jahre.“
Die Künstlerin hat offenbar nie den Ruhm gesucht, Marktpräsenz war ihr nicht wichtig: „Es wäre schön gewesen, aber vielleicht hätte es mich korrumpiert.“ Also ging sie getreu ihrer ästhetischen Überzeugung linealgerade ihren Weg. Und wurde doch entdeckt: 2004 (im zarten Alter von 89) verkaufte Carmen Herrera ihr erstes Bild, das MoMA wurde auf sie aufmerksam, ebenso das Hirshhorn Museum, das ihr „Rondo (Blue and Yellow)“ von 1965 erwarb, oder die Tate Modern, die seit 2006 immerhin eine Leihgabe…