Doris von Drathen
Carl Andre Sculptor
Kunstmuseum Wolfsburg und Haus Lange/Haus Esters, Krefeld, 4.2. – 21.4.1996
Das überraschende Erlebnis, den Arbeiten von Carl Andre zu begegnen, steht immer wieder im diametralen Gegensatz zur Beschreibung von deren Machart. Seit Jahren mißtraut Andre anderen Katalogtexten als dokumentierenden Sätzen wie: “Zehn identische, querrechteckige Bleiplatten liegen in einer Reihe hintereinander…, 100 Eisenplatten bilden aus zwei Elementen nebeneinander und fünfzig Elementen hintereinander eine langrechteckige Form… Die Skulptur besteht aus 28 Holzbalken von identischen Abmessungen…”. Sobald man aber den Raum betritt, in dem der Steg von 2 x 50 Eisenplatten ausgebreitet daliegt, sobald man ihn mit dem Auge abtastet oder ihn dem Klang der Schritte nachlauschend abgeht, entsteht etwas ganz anderes als eine Arbeit aus abgezählten Metallplatten. Da geht es plötzlich um einen Raum im Raum, der von diesem Steg aus erlebbar wird, um ein sonderliches Musikstück, das dort erahnbar wird; da geht es um Zeitgefühl, das sich aufspannt beim Abschreiten dieses klingenden Weges. Gestern abend (2. April) eröffnete Andre in der Pariser Galerie Lefebvre eine winzige Ausstellung: fünf Doppelmetallplatten, Kupfer und Blei abgezirkelt auf dem Boden verteilt. Unerwartet setzte er sich dann irgendwann an das Klavier, das in dieser Galerie seine Tradition hat, und spielte ein paar Takte einer selbst erfundenen Fuge. Vor Jahren erklärte er: “The function of sculpture is to seize and hold space. I have evolved a kind of sculpture in which there is a fixed set of tones – one might even say an instrument or a piano, on which or with which…