60. Venedig Biennale
Gespräche Çağla Ilk
Das Buch der Schwelle
Heinz-Norbert Jocks: Wie kamen Sie auf das Thema Thresholds?
Çağla Ilk: Es gibt nicht nur ein Thema, sondern mehrere, die mit dem Begriff der Schwelle, Thresholds, verbunden sind. Ich halte nichts von einem fertigen kuratorischen Konzept, mit dem man an Künstler*innen herantritt. Ich ziehe es vor, dass sich alles organisch aus den Gesprächen und der Zusammenarbeit entwickelt. Zu Beginn stand meine Lektüre des Romans Zeitzuflucht von Georgi Gospodinov. Mir lag daran, eine Geschichte mit vielen Facetten und Fragmenten zu erzählen, und dieser Roman diente mir als Drehbuch. Er handelt von einem kosmopolitischen Künstler und Therapeuten namens Gaustín, der eine spezielle Klinik für Alzheimer- und Demenzkranke mit Zimmern im Stil von Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts errichtet. Das Buch bezieht sich auf einen Versuch, die Zeit einzufrieren und in dieser Zeitkapsel zu leben. Für mich ist dies die Metapher dafür, wie ich mir den deutschen Beitrag zur Biennale auch als einen Moment vorstelle bezüglich der Frage, wie wir mit Vergangenheit und Zukunft umgehen. Unsere Gesellschaft ist extrem polarisiert. Eine Krise folgt auf die nächste, und es heißt immer wieder, früher sei alles besser gewesen. Für Gospodinov ist die Vergangenheit hingegen ein Ungeheuer, das uns auflauert. Unkritische Nostalgie kann sehr gefährlich sein. Sie wird unter anderem von der extremen Rechten für rückwärtsgewandte Ideologien benutzt und macht es zukunftsorientierten Ideen und Haltungen schwer. Dieser Tendenz, wie sie auch im Roman thematisiert wird, möchte ich entgegenwirken.
Warum erweiterten Sie den Pavillon um die Insel La Certosa?