Michael Hübl
By Night
Fondation Cartier pour l’art contemporain, Paris, 2.2. – 19.5.1996
Nordisches Dunkel: Wenn sich in Stavanger der Herbst dem Ende näherte und die Sonne hinter “gelben Wolken unterging, die Sturm und Regen verkündeten, senkte sich über die kleine Stadt eine Finsternis, der man durchaus keinen Widerstand leistete, es sei denn durch die kleine Laterne, welche an der Mauer beim Eingang zum Rathaus brannte. Sonst war es dunkel, pechdunkel”1, schreibt der Norweger Alexander Kielland in seinem Roman “Kapitän Worse”. Der kritisch-realistische Text handelt in der Zeit um 1840. Mithin werden Lebensumstände geschildert, die für den Autor bereits Vergangenheit waren. Die Ausführlichkeit, mit der Kielland stockfinstere Nacht beschreibt, aber auch einige semantische Signale, die er setzt, zeigen, daß ihm bewußt war, wie sehr sich das Licht der Welt verändert hatte. 1882, als der ehemalige Ziegelfabrikant und vergleichsweise frisch gebackene Dichter seinen Gesellschaftsroman herausbrachte, lag zudem längst Emile Zolas “Nana” vor, ein Werk, das den Umbruch aus der Großstadtperspektive vor Augen führt. Die Nacht hat ihre Kerzen ausgebrannt – jetzt verbreitet sich Gaslicht in Paris, gleißend weiß, von bis dato unbekannter Helligkeit.
Aus diesem Blickwinkel widmet sich auch eine Ausstellung in der Pariser Fondation Cartier den Stunden zwischen Sonnenuntergang und Morgengrauen. Mit gutem Grund heißt sie “By Night”. Wohl gehört zu den Exponaten eine Mondkarte von John Russel aus den Jahren 1805-1806, und der Mann, den Nadar 1861 fotografierte, tastet sich mit einem Kerzenleuchter in der Hand an den gestapelten Gebeinen entlang. Doch den Grundton der luciden Schau gibt der schnelle Puls modernen…