Brief aus Wien
Denken ist Hinrichtung, Tun ist Herrichtung
So heißt eine der Gemeinschaftsarbeiten Arnulf Rainers und Günter Brus’ mit denen Heike Curtze ihre neue Galerie in der Seilerstätte eröffnet hat. “Denken ist Hinrichtung, Tun ist Herrichtung!” ist eine Devise, die den oft verkannten positiven aktionistischen Ansatz genau umreißt. Der Wiener Aktionismus hat mit Hermann Nitsch nur mehr einen einzigen bedeutenden aktiven Vertreter, nachdem Rudolf Schwarzkogler tot ist, Otto Mühl Patriarch seiner Großkommune, Adolf Frohner konservativ geworden und Günter Brus malerisch arbeitet. Doch das Wiener Kunstgeschehen hat er geprägt – und prägt es noch, auch die Ausstellung bei Curtze: Rainer war nie Aktionist, Brus ist es nicht mehr. Die Intensität der Auseinandersetzung aber, die in diesen fröhlichen Bildern Gestalt gewinnt, das komödiantische Zusammenspiel, die eminente Bedeutung des “Jetzt” kommen aus dem aktionistischen Wurzelgrund.
In einer kammermusikhaften Grün-Reihe auf antikem Papier aus Ettinghausens historischem Pflanzenatlas mit Titeln wie “Sternkraftwerk”, “Unmögliche Hoffnung”, “Rainers Frühlingsgarten”, Pergola Bahia” oder “Faszinationswut” hat Arnulf Rainer Naturdrucke von Farnen, Wiesenblumen, Gräsern mit Aquarell übermalt und Kohle bearbeitet. In den großen Formaten überdeckt er mit Fingermalerei in Acryl Fotos raufender Aktmodelle. Günter Brus hat erzählerisch weiter und zu Ende gezeichnet, in Türkis, Blau, Schwarz, Rosa, Gelb. Er ist auf dem Höhepunkt seines Schaffens: ohne auf seine obsessive Schärfe verzichten zu müssen, kann er sich in explosiven Phantasiestürmen und lieblichen Ausschmückungen ergehen. Nichts gerät marginal. In jedem Schnörksel holt er österreichische Formentradition in seine anarchische Gegenwelt. Rainer hat seine im Vorjahr auch in Texten exhibitionistisch ausgespielte Krise souverän überwunden. Mehr als…