Claudia Wahjudi
Blick ins Bodenlose
Der Film- und Fotokünstler Marco Poloni zerlegt Fakten in Fiktionen über diese Welt
Identität, Anonymität und Verschwinden: Das sind drei der vier großen Themen von Marco Poloni. Zu ihnen erzählt der in Berlin lebende Künstler immer wieder neue Geschichten, ohne jemals einfach eine Geschichte zu erfinden. Poloni bricht den Blick des Betrachters mit den Gesetzen der Physik: Er enttarnt Fakten als Faction und schafft Fiktionen der Fiktion.
Wie im Sommer 2009, als er seine erste Einzelausstellung an seinem neuen Lebensmittelpunkt Berlin zeigte. In der Galerie Campagne Première lud er zur Zeitreise ein zurück in eine Epoche, als Physiker noch Einzelkämpfer waren und schnell zum Werkzeug von Diktatoren und Militärs wurden. Polonis Ausstellung „Das Majorana Experiment“ handelte von dem italienischen Teilchenphysiker Ettore Majorana, der 1938 unter ungeklärten Umständen verschwand. Der Legende nach tat er es freiwillig. In diesem Fall konnte er es wohl vermeiden, seine Nuklearforschung in den Dienst von Mussolini und den Deutschen zu stellen oder aber sich zwischen den USA und der UdSSR entscheiden zu müssen.
Im Mittelpunkt der Ausstellung mit Fundfotos, Found Footage-Film und Polonis eigenen Produktionen lief ein 46-minütiger neuer Film, den der Künstler mit einem Schauspieler in einem Studio drehen ließ. Mit raffinierten Kulissen, ebensolchen Kamerafahrten und dem Einsatz von Parallel-Perspektive, der in der Projektion eine Art filmisches Schwarzes Loch erzeugt, erzählt die Arbeit von einem Mann, der sich rauchend, lesend, schweigend, denkend in einer Schiffskabine und gleichzeitig in einem Hotelzimmer aufhält – bis er während der kreisenden Kamerafahrten dem Betrachter einfach verloren geht. In…