Paolo Bianchi
Bild und Seele
ÜBER ART BRUT UND OUTSIDER-KUNST IM ZENTRUM EUROPAS
oder: Vom Paradigmawechsel in der Kunst im Wasserzeichen der Kunst
Das Eigene und das Fremde
Ist es bloß Zufall? Im Tram: eine alte Marktfrau, kopftuchbedeckt, mundharmonikaspielend, im Selbstgespräch vertieft, sie verunsichert die Passagiere. Auf der Straße: ein abgefrackter Jüngling, der mit seinen ausgelatschten schwarzen Lackschuhen auf einem Gullydeckel scharrt, dann in ungelenkem Galopp die Zebrastreifen überquert, an einer ihm nachblickenden dickleibigen Frau vorbei, die auf Spanisch “que pobrefito” (welch armer Schlucker) lispelt. Gleich daneben ein Mann, Quasimodo-gleich, im Regenmantel, mit schwenkendem Holzarm. Sodann ein gestikulierender Rentner, der die Arbeit von Bauhandwerken mit Handzeichen dirigiert; seine persönliche Stadtsymphonie. Dies alles passiert innerhalb von nur wenigen Minuten. Geschehen und gesehen in Zürich: Switzerland! Interessant im Zusammenhang mit meiner Zürcher Beobachtung war für mich dann zu hören, was der Schweizer Bundespräsident Jean-Pascal Delamuraz in seiner Neujahrsansprache (1988/89) ausführte: “Ich grüße zuerst all jene unter euch, die körperlich oder seelisch leiden und von Sorgen geplagt sind. Vielleicht sagen Sie sich, Neujahrsgrüße und -wünsche seien nur für die anderen, die gerade Ihre Schwierigkeiten noch nicht selber erfahren haben. Aber so ist es nicht. Meine Wünsche richten sich vor allem an Sie. Sie sind nicht allein. Unser Volk ist keine Robotergesellschaft, auch wenn da und dort eine gewisse Gefahr dazu besteht. Es ist fähig zu Solidarität und menschlicher Wärme. Menschliche Wärme möchte ich auch Ihnen bringen und all jenen, die sich in unserem Land ausgeschlossen, verlassen und an den Rand gedrängt fühlen. Und das sind nicht wenige…”…