Michael Bockemühl
Bild und Gebärde
Zu den Chancen eines bildlichen Verstehens
Mag man sich darüber einig sein, daß ein Bild zu berühren und anzusprechen vermag, daß es etwas anschaulich machen kann, das durch Worte nicht auszusprechen, durch Begriffe nicht endgültig faßbar ist, daß es demgemäß eine eigene, durch nichts anderes ersetzbare Wirkung hat und gänzlich eigene Horizonte des Erlebens eröffnet – so unterschiedlich fallen die Erklärungen darüber aus, was ein Bild sei, was am Bild interessiert, wie es verstanden werden kann und in welcher Weise durch ein Bild Verstehen eröffnet wird. Der Umgang mit einem Bild, das längere und wiederholte Sich-Einlassen kann bewirken, daß eine Vertrautheit entsteht und daß es doch jederzeit geschehen kann, daß sich auch das Vertraute wieder als ein Anderes gibt, als würde es zum ersten Mal gesehen. Unbestrittene Erfahrung ist, daß da etwas spricht; doch was spricht, und wie es spricht, entzieht sich.
Eine gedankliche Aussage, Mitteilung, Botschaft kann in einer Stimmigkeit begegnen, die nur eine einzige Deutung zuläßt und gegenseitiges Verstehen gewährleistet. Entscheidend ist, daß sich in der gedanklichen Bestimmung Gemeinsamkeit findet. Und wie sich in der Bestimmung der Worte und Gebärden Gemeinsamkeit findet, so lassen sich auch sinnlichen Zeichen, wie diesen Buchstaben, bestimmte Bedeutungen zusprechen, so daß sie Sinn vermitteln können, wenn diese Bedeutungen dem Schreibenden und dem Lesenden gemeinsam bekannt sind. Wesentlich komplexer erscheint diese Gemeinsamkeit, wenn wie beim Bild die Determinationen, die ein Anschauliches zum Zeichen machen, unbekannt oder vielleicht gar nicht vorhanden sind. Zumal wo die überwiegende Zahl künstlerischer Bildgestalten in der Moderne auch…