Rainer Metzger
Beate Passow
»ARTGEMÄSS«
Cordonhaus Cham, 7.5. – 29.5.1994
In konventioneller, etwas überinszenierter Sitzhaltung, so als müßte sie den traditionellen Formeln der Porträt-ikonografie treu bleiben, hat “Frau P.” im Armsessel Platz genommen. Der alten Dame ist dadurch etwas Autoritatives eigen, ihr Kleid, die Halskette, ihr fester Blick legen einen Anflug von Stolz bloß. Ihr gegenüber wirkt “Fräulein B.” als stehende Repoussoirfigur, die Arme nach hinten gelegt, mit leicht hängendem Kopf schmächtig, fast schwach, ein junges Mädchen, das der Welt augenscheinlich nicht traut. Gegensätze ließe sich in die Darbietungen der beiden Frauen hineininterpretieren, Gegensätze des Alters und der Pose, der Kleidung und der Haltung zur Welt. Damit ließe sich die Arbeit, die jüngste von Beate Passow, wieder aus den Augen verlieren, ließe sich übergehen zu den weiteren Exponaten in den aufgeschickten mittelalterlichen Räumen des Cordonhauses, der städtischen Galerie Chams. Doch haben die beiden Porträts noch eine zusätzliche Komponente, eine visuell sehr subtile, eine semantisch aber um so massivere. Bleibt der Blick an den Unterarmen des Mädchens hängen, so wird er der Narben gewahr, die, kaum verheilt, die Hautpartien um die Pulsadern versehren. Bleibt der Blick an den Unterarmen der alten Frau hängen, so erfaßt er die Tätowierung. Das Mädchen hat etliche Selbstmordversuche hinter sich, und die Frau war in Auschwitz. Zwei überlebende sind hier dargestellt, zwei Zeuginnen existentieller Situationen, die extremer nicht sein könnten.
Hat das individuelle Schicksal des Mädchens zu tun mit dem kollektiven, dem weltgeschichtlichen, dem ultimativen der Frau? Sind die beiden Darstellungen, jenseits formaler Ähnlichkeiten, die dadurch schnell geschmacklos wirken…