Kunstforum Gespräche
Bauen am nationalen Haus – Architektur als Identitätspolitik – eine kritische Bestandsaufnahme
Ein Gespräch mit dem Architekten und Publizisten
Philipp Oswalt
von Peter Funken
In seinem neuen Buch beschäftigt sich der renommierte Architekt und Autor Philipp Oswalt mit einem beunruhigenden Phänomen: Ausgehend vom Neubau des ehemaligen Berliner Stadtschlosses attestiert er der „Berliner Republik“ einen Geschichtsrevisionismus, der die Schreckensgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert ausblenden will und stattdessen an Traditionen vor den Weltkriegen und der Kaiserzeit vor 1914 anknüpfen möchte. Eine wichtige Rolle dabei spielen fotorealistische Architekturrekonstruktionen. Beispiele für die von Oswalt monierte Ignoranz gegenüber der Geschichte sind ebenso die wiedererstandene Altstadt in Frankfurt / Main, die dortige Paulskirche, die Potsdamer Garnisonskirche und als positives Gegenbeispiel die Rekonstruktionen der Bauhaus-Meisterhäuser in Dessau.
PF Die vollständige Rekonstruktion des ehemaligen Berliner Stadtschlosses, dort, wo zu DDR-Zeiten der „Palast der Republik“ stand und zur Kaiserzeit das originale Stadtschloss bildet den Ausgangspunkt für Ihre kritische Bestandsaufnahme von Bauaktivitäten der allerletzten Jahre in Deutschland. Ihr Buch „Bauen am nationalen Haus“ hat den Untertitel „Architektur als Identitätspolitik“. Worum geht es?
PO Rekonstruktionen hat es in der Baugeschichte immer gegeben. Aber seit Ende der 1980er Jahre erleben wir in Deutschland eine neue Rekonstruktionswelle, bei der es nicht mehr darum geht, sich die Geschichte selbstbewusst anzueignen, sondern anhand von Fotografien die äußere Erscheinung verlorener Bauten exakt nachzubilden, als ob nie etwas anderes dagewesen wäre. Diese neue Form der Rekonstruktion wird zwar meist mit Stadtreparatur und Schönheit begründet, ist ihrem zentralen Anliegen nach aber identitätspolitisch. Die Projekte formulieren essentialistische Vorstellungen von Herkunft,…