Bahn frei für eine »qualifizierte Öffentlichkeit«
Gerd Kähler/Carl Steckeweh/Klaus-Dieter Weiß (Red.)
»Renaissance der Bahnhöfe«
‘Renaissance der Bahnhöfe` nannte sich eine prächtig ausgestattete Ausstellung während der letztjährigen Architekturbiennale in Venedig. Ausgetragen und finanziert vom Bund Deutscher Architekten, dem Deutschen Architekturzentrum, der Deutschen Bahn AG und den Ministerien für Bauwesen und Verkehr, propagierte der Hamburger Architekt Meinhard von Gerkan die Wiedergeburt der Eisenbahnarchitektur. Das Engagement scheint verständlich, stammen doch allein zwanzig der 32 vorgestellten Projekte aus seinem Architekturunternehmen gmp. Ihr größtes Projekt, der regierungsnahe Berliner ‘Zentralbahnhof`, wird für jährlich 30 Millionen Passagiere ausgelegt und soll als glasüberspannter Knoten zwischen Tiergartentunnel und Spreebrücke den nahegelegenen Reichstag noch überragen.
Nach 1989 erstellt die Deutsche Bahn AG völlig neue Gleisstrecken, Containerterminals und zunehmend auch Bahnhöfe. Diese ‘Wiedergeburt` steht für die Herausgeber jedoch weniger im Vordergrund. Vielmehr meint man dem Transportunternehmen das vorgebliche Schmuddelimage als “Transportmittel für ärmere Bevölkerungsschichten” nehmen zu müssen, wobei “nicht wenige Bahnhofsviertel zu Rotlicht- und Rauschgiftbezirken absanken”, so Bahnchef Heinz Dürr im Vorwort der Begleitpublikation. “Das Bahnhofsmilieu muß wieder von Bahnhofskultur abgelöst werden”, fordert auch Verkehrsminister Wissmann, soll doch der Bahnhof als Stadttor ein “Aushängeschild für die Besucher der Stadt und attraktiv für die Kunden der Stadt werden”.
Als privatwirtschaftlich geführtes, jedoch von staatlichen Zuschüssen weiterhin abhängiges Unternehmen will die aus den deutsch-deutschen Staatsbetrieben Bundes- bzw. Reichsbahn hervorgegangene Deutsche Bahn AG nur mehr einer “qualifizierten Öffentlichkeit” Aufenthalt gewähren. Diese Formulierung fand sich in deutscher, englischer und italienischer Sprache auf großformatigen Tafeln, welche die bundesdeutsche ‘Renaissance der Bahnhöfe` propagierten. Für den zugleich sozialhygienisch und bauästhetisch argumentierenden Meinhard…