Ludger Fischer
Avantgarden und Arschlöcher
Von der Sprachlosigkeit der Kunstkritik und der Entstehung des Pseudokynismus
Vielleicht ist es notwendig, den Leser nach einer solchen Überschrift erst einmal zu versöhnen. Die beiden als Zitat zu verstehenden Begriffe fanden ursprünglich in durchaus wohlwollender Weise Anwendung bei der verbalen Verarbeitung zweier Etappen der neueren Kunstentwicklung.
Der Mangel an Kriterien für die Bewertung zeitgenössischer Kunst machte sich in den Jahren der für überwunden gehaltenen faschistischen Kunstideologie immer schmerzlicher bemerkbar. Die einstmals als “entartet” eingestuften Produkte der Bildschaffenden mußten rehabilitiert, die aktuellen Bilder als inhaltlich wie formal konsequente Anknüpfungen an die vorfaschistische Ära präsentiert werden. Als Kodewort für politisch wie ästhetisch unbedenkliche Kunstäußerungen wurde der Begriff ..Avantgarde” vereinbart. Er signalisierte gleichzeitig demokratische Gesinnung und künstlerische Qualität. Der ..Tod der Avantgarde” wurde spätestens seit dem von Richard Chase 1957 in der “Partisan Review” veröffentlichten Artikel “It is the costum nowadays to pronounce the avant-garde dead” zum festen Topos jeder Kunstdiskussion.
Mittlerweile ist auch der letzte Tänzer dieses werbewirksamen fröhlichen Leichenzugs ermüdet und hat sich im Parkett niedergelassen, um von dort aus jenen Tänzer auf der Bühne zu verfolgen, der die Vokabeln zur Beschreibung einer Kunst liefert, die sich nun partout nicht als “avantgardistisch” bezeichnen lassen will. Peter Sloterdijk stellte 1983 in seiner “Kritik der zynischen Vernunft” ein Begriffssystem zur Verfügung, das der zeitgenössischen Kunst wesentlich angemessener schien, als die militärischen Formulierungen sich gegenseitig ausrottender Avantgarden. “Auf der Suche nach der verlorenen Frechheit” war Sloterdijk unter anderem bei den Künsten auf einen “kynischen Impuls” gestoßen, ein Wiederaufleben des antiken Kynismus in…