Jochen Lempert
Aus der »Werkestatt des Demiurgen«
Ein Gespräch von Christiane Fricke
Barfüßig und eher wortkarg als geschwätzig-eloquent, so erschien Jochen Lempert am 4. Juni 1997 im Bonner Kunstverein, um über Fauna, Ökologie und Fortpflanzungsverhalten von Libellen an tropischen Waldbächen zu referieren. Seinen Zuhörern vermittelte er, unterstützt von einer Serie dokumentarischer Farbdias, ein anschauliches Bild und einen Begriff von seiner Forschungsmaterie. So und nicht anders hätte man sich den Vortrag eines Zoologen vorgestellt, wenn auch die Umgebung, in der er dies tat, anderes erwarten ließ.
An den Wänden des Kunstvereins hingen Lemperts “365 Tafeln zur Naturgeschichte”: großformatige, schwarzweiße Serien und wandfüllende Konstellationen von ungerahmten, manchmal grob abgezogenen Papierprints, auf denen die Dunkelkammerarbeit hier und da ihre rätselhaften Spuren hinterlassen hat. Lempert zeigt die Ergebnisse einer weit ausgreifenden Inventur. Das Tier ist in all seinen Erscheinungsformen präsent, sei es als Spezies oder Gegenstand der Forschung, als Objekt ästhetischen Interesses oder Individuum, als künstliche Nachbildung oder Ausstellungsstück.
“Wir haben ein Bild und einen Begriff von allem und jedem”, schreibt Annelie Pohlen in ihrem Katalogbeitrag; “wir wissen um die verstecktesten Arten.” Die Lempertschen Tafeln zur Naturgeschichte, so hat es den Anschein, legen beredtes Zeugnis davon ab. Tatsächlich tun sie dies aber in einer Art und Weise, die erhebliche Zweifel aufkeimen läßt. Wir haben wohl doch noch nicht von allem ein Bild und ganz gewiß nicht von jedem einen Begriff. Wie sonst ließe sich erklären, daß man in den Profilaufnahmen der ausgestopften Vögel (“Oiseaux – Vögel”) plötzlich einzelne Individuen wahrnimmt, daß die weißen Flecke am Kopf des Riesenalks…