Auf der Suche nach dem verlorenen Ort
Kunst, Architektur und der neue Urbanismus
Herbert KOPP-OBERSTEBRINK und Judith Elisabeth WEISS
Ein Haus schwebt viele Meter hoch in der Luft über einem großen, belebten Platz, aus seiner Unterseite ragen Wurzeln. Ein surrealer Effekt? Nein, eigentlich nicht. Denn das Gebäude hängt erkennbar an einem Kran, der Teil dieser Installation auf dem Karlsruher Marktplatz war. Ausgeführt im Stile des klassizistischen Architekten Friedrich Weinbrenner, der die umgebenden Gebäude des Marktplatzes von 1807 an bauen ließ, und mit der Patina eines in die Jahre gekommenen Bauwerks versehen, hätte es für die Präsentation der Arbeit Pulled by the Roots des argentinischen Künstlers Leandro Erlich wohl keinen geeigneteren Ort geben können.1
Aber auch kaum eine passendere Zeit als das Jahr 2015? Das wohl eher nicht, ist die Geschichte der deutschen Innenstädte seit der Nachkriegszeit eine lange, eher traurige, geprägt von der Abrissbirne, die den Platz für Autogerechtigkeit und Investorenträume schaffen sollte und schuf. Der Abriss des ältesten erhaltenen Viertels in Stuttgart etwa, die Abräumung ganzer Stadtquartiere zugunsten von Straßen und Monumenten wie dem Steglitzer Kreisel in Berlin – die Liste wäre lang, die stadtplanerischen Spätfolgen reichen bis tief in die Gegenwart. Manche Maßnahmen konnten durch zivilgesellschaftliches Engagement gestoppt werden, die meisten aber nicht.Auch in Karlsruhe stand zur Zeit der Ausstellung eine weitreichende Umgestaltung der Innenstadt an. ‚Weitreichend‘ bedeutet hier freilich nicht nur den Umfang des Eingriffs, sondern auch die Wirkung der umfangreichen Bodenversiegelung ohne Grünbepflanzung für das Stadtklima. Doch die Großinstallation Erlichs, der selbst aus einer Architektenfamilie stammt, meinte weitaus mehr als…