Fragen zur Zeit
Michael Hübl
Auf dem Lichtfriedhof
Gemeinsames Ausschalten als kultische Handlung
Als hätte sie es geahnt. Im Kunsthaus Erfurt montierte Nadine Rennert 2006 eine Konsole aus Metall; durch einen Text aus dem Lyrikband “Die Ziffer” von Jorge Luis Borges war sie zu der Arbeit angeregt worden, die aus einer glatt geschliffenen Platte bestand. Etwa auf Brusthöhe reichte das minimalistische Wandelement, das über Eck angebracht war, einen Meter in eine Richtung und im rechten Winkel dazu in die andere. An den Enden hatte Rennert je ein Loch in das Stahlblech bohren lassen. In den Löchern steckten lange Kerzen. Sie verjüngten sich nach oben hin und waren – bedingt durch ihre konische Form – so weit nach unten gerutscht, bis der eigene Durchmesser für die jeweilige Öffnung zu groß wurde und sich das Wachs mit dem Stahl verkantete. Die Kerzen wurden angezündet. Brannten langsam nieder, bis die Flammen das Metall erreichten. Das Wachs schmolz, die Kerzen stürzten nach unten, und im Fallen erlosch ihr Licht. Der Vorgang wurde mehrfach wiederholt. Jedesmal sah es so aus und hörte es sich so an, als würden ausgebleichte Knochen aufeinander schlagen. Am Ende der Ausstellung lagen unter der flachen Konsole zwei Haufen kalter Kerzen. Lichtgräber.
Gut ein Jahr später sollte Deutschland für eine gewisse Zeit im Dunkel liegen. Am 8. Dezember 2008 proklamierte die “Bild”-Zeitung: “Heute Licht aus von 20.00 – 20.05 Uhr” 1. Mit der Arbeit von Nadine Rennert hatte dieser Aufruf – außer, dass es da wie dort um Licht ging – nichts, rein gar nichts gemein….