Michael Nungesser
Ästhetische Radiographie eines Palastes
»Die Rote Burg. Zehn künstlerische Positionen zur Alhambra«
Haus der Kulturen der Welt, Berlin, 17.11.1995 – 3.3.1996
Jüngst stand das Haus der Kulturen der Welt (HKW) im Zeichen des Mittelmeers: Ein von Oktober `95 bis März `96 reichendes Festival versuchte, die multikulturelle und vielstaatliche Brücken-Region zwischen Europa und Afrika in wissenschaftlicher, publizistischer oder künstlerischer Form zu reflektieren. Einen Schwerpunkt bildete die granadinische Alhambra, steingewordenes Symbol einer bruchreich-gewalttätigen Geschichte, in die jüdische, christliche und vor allem islamische Traditionen eingegangen sind. Neben der historisch-dokumentarischen Ausstellung “Schätze der Alhambra” (Kulturforum) führte “Die Rote Burg” zehn zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler aus Algerien, Deutschland, Frankreich, Marokko, Portugal und Spanien vor, die – nach einem vom HKW organisierten einwöchigen Aufenthalt in Granada – zum `Kulturkomplex’ Alhambra Stellung nahmen.
Manche der Arbeiten sind schon in früheren Jahren entstanden, Fotografien und Installationen aber meist aus Anlaß der Ausstellung, die, obgleich auftrags- und themenbezogen, medial und gestalterisch vielschichtig, anregend und für ein derartiges ästhetisches Metaprojekt beispielhaft war. Auch ohne direkten visuellen Bezug blieb die Alhambra auf verschiedensten Ebenen allgegenwärtig – ihre Gebäude und architektonischer Schmuck, ihr Verhältnis zu Landschaft und Geschichte, ihre Rolle in der Gesellschaft, ihre Atmosphäre und ihre ideologische Vernutzung.
Die großformatigen zeitüberspannenden Panorama-Fotografien von Axel Hütte (*1951) stehen unter dem Motto “Der Seufzer des Mauren”. Nicht die Alhambra ist zu sehen, sondern karges urwüchsiges andalusisches Hügelland und Reste von Befestigungsanlagen, das Vorher und Nachher einer glorreichen, aber vergangenen Epoche. Auch in den zarten Farbgittern von Soledad Sevilla (*1944) entzieht sich der mächtige Bau den…