Walter Grasskamp:
Ästhetik für Produzenten
Es geschieht selten genug, aber manchmal läuft man Bildern über den Weg, die man nicht mehr los wird. Es funktioniert wie bei den bekannten Sehexperimenten: Wer lange genug auf das rote Quadrat schaut und dann die Augen schließt, sieht ein grünes Nachbild. In diesem Fall erscheinen die Nachbilder allerdings nicht auf der Netzhaut, sie tauchen vielmehr hin und wieder im Alltagsbewußtsein auf, stören die Routine und machen sich im Gedächtnis breit. Wohl jeder, der in der Kunst zu tun hat, besitzt so ein imaginäres Museum im Hinterkopf.
Ein vielsagendes Bild. In meiner Sammlung solcher Bilder ist seit Jahren eines von Laszlo Lakner: Hegels Ästhetik, unleserlich verschnürt vor einer Wand baumelnd, symbolisch außer Kraft gesetzt in einem Bildwitz von tieferer Bedeutung, schließlich war es Hegel, der das Ende der Vorherrschaft der Kunst für die Erkenntnis und Vermittlung von Wahrheit postuliert hat, zugunsten der Wissenschaft.
In Lakners Bild rächt sich die entthronte Kunst – spät zwar, aber im Bewußtsein einer bewahrten Macht – am wehrlos gewordenen Propheten, dem sie die Hinfälligkeit der eigenen Vermittlung nachweist, ihm nicht am Zeug, wohl aber am Medium flickt, Bild gegen Buch, Kunst gegen Ästhetik. Ein solches Bild muß jedem gefallen, der zwischen intellektueller und künstlerischer Arbeit hin und herpendelt, zwischen den Stühlen also. Gerade weil die Distanz zwischen beiden Stühlen groß ist, ist Lakners Retourkutsche auch weithin sichtbar, und sie bewegt sich auf einem nie befahrenen Weg. Der Austausch geschieht ja immer verbal: die Philosophen besprechen die Kunst, diagnostizieren ihr Ende oder finden sie…