Ästhetik des Reisens
Herausgegeben von Paolo Bianchi
Das Reisen gibt als emotionales Ereignis unseren Sinnen Nahrung, sowohl im Sinne von Selbsterfahrung als auch in der Spiegelung mit anderen Welten. Kultur und Denken bleiben lebendig, indem ihnen Dinge gefüttert werden, die außerhalb ihrer selbst liegen. Reisen ist Einheit von Impuls und Aktion, Bewegung und Erregung, von Eindruck und Ausdruck – und von erhöhtem Blutdruck. Reisen ist mehr als nur mechanische Fortbewegung mittels Auto, Zug, Flugzeug, Schiff etc., sondern in erster Linie Selbstbewegung, Sehnsucht und Veränderung schlechthin. Gelungenes Reisen verläßt – ebenso wagemutig wie spielerisch – gewohnte Bahnen und gebiert sich in der Bewegung selbst. Gelungenes Reisen ist aber auch mit Anstrengung verbunden, wie vor allem dem Sprachenlernen. Gute Reisen (übrigens auch gute Bücher oder gute Kunst) wirken wie Drogen, die süchtig machen nach mehr.
Eine “Ästhetik des Reisens” erschafft sich eigene Formen, Motive und Ausdrucksarten, um auszudrücken, was sich nicht einfach, unvermittelt aussprechen und darstellen läßt. In der Ästhetik des Reisens zählt nicht die Flucht vor etwas oder die Suche nach dem “Anderen”. Im Mittelpunkt steht ein Unterwegssein, das gewissermaßen als Rundreise um die Erde zum Ausgangspunkt zurückführt, um dann wieder von vorne zu beginnen. Jede Reise ist anders, jede hat ihre eigene Geschichte, und doch basieren alle Reisen auf dem gleichen Übergangsritual: Abfahrt – Passage/Unterwegssein – Ankunft.
Der “Atlas der Künstlerreisen” zeigt, daß Künstlerreisen als Alternativen zum Massentourismus zu einer ästhetischen Zuspitzung des Unterwegsseins führen. Der “authentisch” Reisende wird zum Seismographen für kulturellen Wandel im kulturellen Selbstverständnis einer neuen Globalkultur. Das verlangt den Künstlern…