Martin Blättner
Arte povera
1971 und 20 Jahre danach
Aktueller Teil (II)
Kunstverein München, 24.5. – 23.6.1991
Unabhängig vom gesicherten Platz in den Annalen der Kunstgeschichte muß eine künstlerische Haltung – die sich nach 20 Jahren freiwillig einer kritischen Sichtung stellt – am Anspruch gemessen werden, ein Ereignis nicht nur rekonstruieren und darstellen zu wollen, sondern vielmehr: ein solches tatsächlich zu sein. Mit einer “aktuellen” Arte-povera-Folge (die so brandneu nicht war, da die ausgestellten Werke zum Teil aus den 70er Jahren datierten), entzog sich der Münchner Kunstverein dem naheliegenden Vorwurf, lediglich eine nostalgische Rückschau inszeniert zu haben. Während der erste Teil versuchte, die historische Situation möglichst authentisch nachzustellen, eröffnete der zweite Teil einen vagen Ausblick auf Entwicklungsperspektiven einer undogmatischen Kunstrichtung, die sich darin übte, eine stete Gratwanderung zwischen Sein und Nichtsein zu wagen. Stets dem Mißverständnis der Inbesitznahme ausgesetzt (fast alle Objekte sind verkauft), versuchte sich die letztlich in der Tradition mittelalterlicher Ethik verwurzelte “Arme Kunst” dem konsumierbaren Zugriff zu entziehen. Wenigstens zum Teil ist sie an dieser Utopie gescheitert. Im unverwechselbaren “Lumpen-Look” – der sich übrigens am Rande auch auf das womöglich fetischistische Bekleidungsritual mit minimalen Textilien bezog – hob sich diese asketische Verweigerungsstrategie deutlich von den Nachbarkünsten der Concept-, Process- und Minimal-art ab, da der Verzicht auf den absoluten Ewigkeitsanspruch und eine daraus resultierende Vielschichtigkeit der Realitätsbefragung – die das Nebensächliche zum Ereignis erhob – wohl bereits die postmodernen (freilich nicht unbedingt beliebigen) Schauspiele verschlüsselter Zeigehandlungen ankündigte. Im Gegensatz zu der derzeit vorherrschenden Gigantomanie von luxuriösen und materialaufwendigen Schau-Spektakeln eines überreizten…