Arme Nomaden
Nike Bätzner: Arte Povera. Zwischen Erinnerung und Ereignis
Celant war nicht nur ein hervorragender Propagandist. Er muss auch außerordentlichen Spürsinn für die Tragfähigkeit des 1967 von italienischen Künstlern angestoßenen Paradigmenwechsel besessen haben. Wie sonst ist zu erklären, dass sich eine Gruppe, die es dem Wortsinn nach nie gegeben hat – die Arte Povera – auch auf Dauer so unangefochten als wichtigste und international wirkungsvolle Strömung der italienischen Nachkriegskunst etablieren konnte.
Die Bedeutung der Arte Povera spiegelt sich nicht zuletzt, dem ersten Augenschein nach, in der sich beachtlich ausnehmenden Literatur zum Thema. Erstaunlich mutet deshalb die Feststellung Nike Bätzners an, die kunsthistorische Forschung stecke noch in den Anfängen. In 2000, acht Jahre nach dem Erscheinen der Dissertation Bettina Ruhrbergs zur Arte Povera (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn 1992), hat Bätzner nun ihrerseits eine Dissertation zum Thema vorgelegt. Erneut geht es (schwerpunktmäßig im ersten Teil) um eine inhaltliche Bestimmung der Strömung, ihren ideengeschichtlichen Hintergrund, um die Gültigkeit der Betitelung und die Frage nach den Rezeptionsvorgaben, die Celant mit seinen Texten lieferte.
Theoretisch fundiert, methodisch und gedanklich präzise arbeitet Bätzner die entscheidenden Charakteristika heraus. Sie grenzt die Italiener von der Pop- und Minimal Art ab, die zur Entstehungszeit der Arte Povera den internationalen Diskurs bestimmen, hebt die gattungsübergreifende Arbeitsweise der Italiener hervor und umreißt ihre Konzeption eines “offenen Kunstwerks”, das “als ein Feld von Möglichkeiten und Relationen” begriffen wird (vgl. auch ihre künstlerische Haltung als freie Nomaden). Sie klärt, was “arm” bedeutet, diskutiert die Utopie einer Verbindung von Kunst und Leben vor dem Hintergrund ihres ideologischen Anregers…