Johannes Meinhardt
Anselm Kiefer: Bücher 1969 – 1990
Kunsthalle Tübingen, 29.9. – 18.11.1990
Kunstverein München, 11.1. – 17.2.1991
Kunsthaus Zürich, 1.3. – 7.4.1991
Im Werk Anselm Kiefers machen die Bücher seine Verfahrensweisen und seine persönliche Semantik bzw. Symbolik deutlicher als die großen Einzelarbeiten; vor allem zeigen die Bücher die zentrale Bedeutung von Photographien und den sehr spezifischen Gebrauch, den er von ihnen macht, unverhüllter, weniger überdeckt oder verdeckt. Fast alle Bücher bauen auf Photographien auf, die Anselm Kiefer selbst gemacht hat: Er bearbeitet diese, übermalt sie, bedeckt sie mit Farbe, mit Öl, Acryl, Schellack, aber auch mit Sand, Tonschlamm, Emulsion, Kohle, Asche, Erde, Blei, Eisenoxyd und anderen schweren, irdischen Materialien. Nur in den frühesten Büchern spielen auch Fragmente aus Illustriertenphotos eine Rolle, und in einigen neuen Büchern verzichtet Kiefer auf eigene Photographien zugunsten von Bleioberflächen – deren Oxydationen und chemische Reaktionen differenzierte optische Wirkungen hervorbringen, die sie den lichtrezipierenden, silberhaltigen Schichten von Filmen oder Photoplatten bis zu einem gewissen Grad vergleichbar machen.
Etwa achtzig, mehr als die Hälfte der seit 1969 hergestellten Bücher, sind in der Kunsthalle Tübingen ausgestellt, davon allein zwanzig aus der ersten Phase 1969/70; dazu ergänzend neun Gemälde und ein Bleiobjekt (ein “Flugzeug”) mit dem Titel des bekanntesten Romans von Celine: “Voyage au bout de la nuit”. Ein beträchtlicher Teil der Ausgangsphotos zeigt das Atelier als Kriegsschauplatz; Kiefer inszeniert in seinem Atelier, in Miniaturwüsten aus Sand und chaotischen Materialanhäufungen, Krieg als Erlebnis der Katastrophe. Spielerische Panzerschlachten im Sandkasten, Schlachtschiffe in der Zinnbadewanne, Kampfflugzeuge aus Blei: die elementaren affektiven Erlebnisse und Überwältigungen…