REINHARD ERMEN
Anselm Kiefer: “Am Anfang”
Galerie Taddaeus Ropac, Salzburg, 27.7. – 13.9.2003
Noch immer geht von Anselm Kiefers Bildern eine magische Wirkung aus. Apokryphe Welten haben sich in ihnen zu uns herüber gerettet. Gewachsen und zerbrochen, gepflanzt und verkohlt, pastos und erdig sind das handwarme Biotope für alte Geschichten, die dunkel und doch fasslich erzählt werden. Die Titel bezeugen die Anwesenheit der Kabbala, der Gnosis, der Seherin Merkaba oder heißen den Dichter Saint-John Perse einige verwischte Worte in den schrundigen Grund schreiben: “Etroits sont les vaisseaux”. Ein namenloser Gefangener hat gezählt während die schweren Wasser steigen. Merkabas Gefährt segelt in den gleichen enigmatischen Gefilden. Behelfsmäßige Vehikel werden gelegentlich an den Bildräumen heruntergelassen, wie temporäre Assoziationshilfen, oder Immortellen, auch bleierne Fäden krallen sich in die rissige Malhaut wie schmerzende Applikaturen. Was “Am Anfang” war, das zur Ruhe gekommene Kreisen eines schweren Rades, ist im Gemälde verwittert und wird hier im Zustand des Gewesenen konserviert. Trotz der imponierend kräftigen Keilrahmen mit ihren einschüchternden Monumentalmaßen wirken die Szenarien verletzlich ja, empfindsam; ein Eindruck, der sich bei Kiefer bislang eher selten eingestellt hat. Aber diese “Neuen Bilder”, die Thaddaeus Ropac in seiner alljährlichen (repräsentativen) Festspielausstellung zeigte, erscheinen wie milde Riesen, wie Rezitationen mit Fragezeichen. Die Panzer sind durchlässiger geworden.
Was an den Bildern mit Nachdruck fasziniert, gerät bei den Skulpturen ins Wanken. Der anarchische Turm aus Bleibüchern mit dem grobkörnigen Granulat (=Bodensatz einer Elektrolyse) wirkt wie die Zelebrierung malerischer Unordnung (“Das Tote Meer”). Die Gips- und Stahlgesteiften vollplastischen Damengarderoben in ihrer naturweißen Frische und dem schwungvollen…