Johannes Meinhardt
Anne & Patrick Poirier
Galerie der Stadt Esslingen – Villa Merkel,
16.10.1987 -18.11.1987
Galerie Dacic, Tübingen, 17.10.1987 – 24.11.1987
Geschichte und Kunst stehen seit ihrer gemeinsamen Entdeckung als Themen neuzeitlicher Reflexion (um 1750) gemeinsam gegen den Begriff, die Wissenschaft und die identische Reproduktion: Sie behandeln Singularitäten, einzigartige Ereignisse, die sich nicht unter Begriffe oder Kategorien subsumieren lassen und sich deswegen der Sprache und dem Verstehen entziehen. Die Produktion (das Werden) historischer Ereignisse, Formen und Dispositive ist der Produktion von Kunst darin analog, daß sich die Bedingungen der Produktion nicht beherrschen lassen (heiße dies ‘irreduzible Schöpferkraft’ der lebendigen Natur bzw. der aktiven Einbildungskraft oder ‘Kontingenz’ der psychischen bzw. historischen und materiellen Prozesse), so daß qualitative Veränderungen eintreten, die die Bedingungen selbst modifizieren (etwa das Subjekt).
ANNE & PATRICK POIRIERS ‘Spurensicherung’ setzt ein Weltverständnis voraus, dem historisches Werden und individuelle Imagination verschmelzen: die unsystematische, unbegriffliche und unabschließbare Vielheit der Kulturen in Raum und Zeit, als subjektlose Schöpfung verstanden, die sich ihren Ausdruck in Mythologien und plastischen Gestaltungen (Bauten, Gärten, Plastiken, Parks) schafft, verschmilzt mit den subjektiven Erfindungen, Imaginationen und Obsessionen der Individuen, die die immergleichen Modelle neu aufgreifen. Vermittelt wird solche Verschmelzung durch die Metapher des Lebens, die zwar durch Alter geadelt, nichtsdestotrotz aber problematisch ist: Metapher der Geschichte als Lebensgeschichte, Metapher der historischen Zeit der Gesellschaften als Zeit der Erinnerung, Metapher der sozialen und kulturellen Formen als psychische Archetypen. Vermittelt wird sie andererseits durch die Kontinuität des Verstehens: Genau in dem Maße, wie wir durch erhaltene Schriften hindurch uns die ‘ursprüngliche Bedeutung’…