Stephan Schmidt-Wulffen
Denken und Werk von Annamaria und Marzio Sala
Jener cartesianische Geist, mit dem ‘moderne’ Künstler seit hundert Jahren Weltbilder und Ausdrucksmittel auf ihre Stichhaltigkeit prüften, gerinnt heute zu einer strengen Grammatik künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten. Sie zwingt die Akteure zum Dienst nach Vorschrift.
Die Hoffnung, das Materialexperiment könne daran Wesentliches ändern, trügt. Erfolg verspricht allein ein Wechsel jener Anschauungsformen, die das Schachmatt bewirkt haben.
Daß in dieser Richtung kaum Fortschritte zu beobachten sind, hängt auch damit zusammen, daß die Künstler den Dialog mit den Wissenschaften noch immer nicht aufgenommen haben. Das letzte Kapitel der Selbstprüfung vertagt moderne Kunst nun schon seit Jahrzehnten: das künstlerische Denken aus dem Vergleich mit jener Vernunft zu bestimmen, deren Begrenztheit mittlerweile schon sprichwörtlich ist.
Das Werk von Annamaria Marzio Sala gewinnt aus dieser Sicht Modellcharakter. Entwickelt im Dialog mit Erkenntnistheorie, Informatik, Mathematik, aber auch der Musik, ist es jenseits aller ‘erweiterten’ Kunstbegriffe angesiedelt als Umschreibung eines Denkens, das sich in einem ganz anderen, neuen Sinn als ‘künstlerisch’ erweist. Jenseits der Wissenschaften kann es sich nicht mehr an existierenden Kalkülen entlanghangeln, sich auf keine übergeordnete Vernunft mehr berufen. Kunst wird Quelle von Rationalität.
Die Vorstellung eines Prinzips aller Prinzipien hat sich im Laufe der Geistesgeschichte als Sprengstoff des systematischen Denkens erwiesen. Das drohende Paradox überspielen Annamaria und Marzio Sala in einer ‘arte teorica’, die allein das Mentale beleuchten kann. Sie erscheint als ein selbstgenerierendes, zeitliches System: ‘Zeitzeit’. Begriffe, Zeichen, Signale markieren wie Farben oder Formen in Gemälden dieses System, das – indem man es zu verstehen versucht -…