Jürgen Raap
Andreas Bartels
Einzelbilder als Bruchstücke
Der moderne Mensch habe in seiner inneren Struktur nicht mehr jene Einheit und Einheitlichkeit, die noch die Maler der Renaissance zum Entwurf eines universellen Menschenbildes veranlaßt hatten. Befindlichkeitsmuster und Sozialbeziehungen des heutigen Daseins ließen sich am ehesten mit dem Begriff “Zerrissenheit” beschreiben. “Es gibt keine verbindlichen Verhaltenskodexe mehr, der moderne Mensch kann sein Leben nur im Spannungsfeld zahlreicher Handlungsmöglichkeiten leben. Wenn man Einzelbilder als Bruchstücke begreift, deren Summe sich zu einem splitterhaften Ganzen formt, kommt man diesem Wesen sehr nahe”, erklärt der Berliner Fotokünstler Andreas Bartels. Für derlei Befragungen des Einzelbildes zieht er das Paßbild heran – jene zumeist als Viererblock vom “Fotofix”-Automaten ausgespuckten Belege zur behördlich faßbaren Identität. Da diese Automaten ausschließlich an stark frequentierten Orten in der Öffentlichkeit aufgestellt sind, auf Bahnhöfen zumeist oder in Kaufhäusern, verlagert auch Bartels seine gesamte Aktion in die Öffentlichkeit einer Bahnhofshalle, inklusive Pressekonferenz. Im Herbst 1989 führt ihn das Projekt “Fotomation” auf eine Tournee durch fünf bundesdeutsche Großstädte (Hamburg, Köln, Frankfurt, München und Marburg).
Für die Zwecke des Sich-Ausweisens ist die technische Qualität dieser Schnellbilder ausreichend. Die Grenzen der Benutzungsmöglichkeit scheinen jedoch weniger im Automatencharakter, sondern im Bewußtsein der “Kunden” zu liegen. Schon für andere Künstler war der “Fotofix” eine experimentelle Herausforderung gewesen, Andreas Bartels indessen verleiht der spielerischen Erweiterung der Lichtbild-Porträts einen strikten Konzept-Rahmen, der sich chemischen oder mechanischen Eingriffen in das Innere des Automaten verweigert und sich darauf beschränkt, was innerhalb des fünfsekündigen Aufnahmeintervalls in der Kabine möglich ist. Da werden geriffelte Glasscheiben vor die Kamera…