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Ausstellungen: Bremen · von Hajo Schiff · S. 389 - 390
Ausstellungen: Bremen , 2001

Hajo Schiff
AMNESIA – Die Gegenwart des Vergessens

Neues Museum Weserburg, Bremen, 26.11.2000 – 4.3.2001

Wäre es nicht konsequent, diese Ausstellung zu vergessen? Von der Nichtigkeit aller Erinnerungsbemühungen überzeugt, gedanklich die Lethe zu überschreiten und sich im Schattenreich zu verlieren? Doch selbst dort, wo das Vergessen zum ausdrücklichen Thema wird, wie in der Ausstellung AMNESIA, es tritt stets zusammen auf mit seinem siamesischen Zwilling, der Erinnerung: ein philosophisches, psychologisches, künstlerisches Paradoxon.

Einst hatte sich einer der großen deutschen Philosophen auf Dauer notiert, seinen verhasst gewordenen Kammerdiener vergessen zu wollen. Wenn die damnatio memoriae, die Verbannung aus der Erinnerung, eine langandauernde Strafe sein soll, muss in der Tat daran erinnert werden, wer oder was denn da vergessen werden soll. Und wenn die Erinnerung, beispielsweise an den Holocaust, die Bedingung der Sühne ist, wird Vergessen zur Sünde. Doch auch Erinnern ist sündhaft, bindet doch die Kette der Erinnerungen die Menschheit an die Erbsünde, der nur die reinen, unbedingten und selbstvergessenen Erlöser in Literatur, Mythos und Religion entkommen.

AMNESIA, das Thema, das sich die dritte der etwa alle zwei Jahre veranstalteten fremdkuratierten Sonderausstellungen des Museums Weserburg Bremen gesetzt hat, betrachtet Kunst auf dem Hintergrund der Memorialkultur der jüdisch-christlichen Gedankenwelt und ihrer säkularen Auswirkungen. Tatsächlich wird heute auffällig oft Erinnerung eingefordert. Aber der Alltag kann in Wirklichkeit nur noch durch andauerndes Vergessen funktionieren: Die verfügbaren Datenmengen sind schon längst nicht mehr anders zu bewältigen. Trotz stets erweiterter Kapazität laufen die Speicher des Personal-Computers über, wenn man vergisst, gelegentlich die Löschtaste zu betätigen. Ähnlich ist die Gesellschaft als Ganzes…


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