Wien
Amedeo Modigliani
Revolution des Primitivismus
Albertina 17.09.2021–09.01.2022
von Michael Hübl
Wenn es ein Pendant des 20. Jahrhunderts zu Leonardos „Gioconda“ gibt, dann ist es die „Dame mit blauen Augen“ von Amedeo Modigliani. Was beide eint, ist der gleichermaßen stoisch-würdevolle Gesichtsausdruck. Aber während das Lächeln der Mona Lisa von einer Zukunft voller Geheimnisse spricht, die es zu entschlüsseln gilt und die ein neu erwachter Forscherdrang im Laufe der Geschichte entschlüsseln wird, sind die Züge der um 1918 gemalten Dame melancholisch, ihre pupillenlosen Augen lediglich zwei blaue Flächen: Es ist, als blickte man in Brunnen, deren Tiefe für die Abgründe der modernen Welt steht – einer Welt, die ihre hochentwickelten technologischen und industriellen Möglichkeiten gerade im Ersten Weltkrieg mörderisch erprobt hat und im Laufe des Jahrhunderts weiter erproben wird.
Das Porträt ist Teil einer Ausstellung, die bereits 2020 in der Albertina Wien stattfinden sollte, dann aber wegen der Covid-19-Pandemie verschoben wurde. Das Museum wollte und will mit ihr an den 100. Todestag des Künstlers erinnern, der am 24. Januar 1920 im Alter von nur 35 Jahren starb. Die Werkauswahl zielt jedoch zugleich darauf, Modigliani aus der Schmuddelecke eines scheinbaren Erotomanen mit Suchtproblemen zu holen. Während ihn „auch wissenschaftliche und akademische Kreise mit einer gewissen Reserviertheit beurteilen,“ wie Marc Restellini, der Kurator der Wiener Präsentation deklariert, will ihn Klaus Albrecht Schröder, der Generaldirektor der Albertina, „als führenden Künstler der Avantgarde“ verstanden wissen.
Über 80 Arbeiten des Malers, Zeichners und Bildhauers sind in der Albertina vereint, darunter etliche Leihgaben aus Privatsammlungen. Gleichwohl hat man sich nicht mit einer…