Marius Babias
Als die Bilder duschen lernten
MARIJKE VAN WARMERDAM BRINGT DIE REALITÄTSERFAHRUNG ZUM FILM ZURÜCK
Echte Cineasten sitzen in der ersten Reihe. Auch Marijke van Warmerdam. Ganz vorne rechts. Die verzerrte Perspektive schärft den Blick für präzise Details, die aus dem diffusen Set sich lösen, zum Greifen nahe sich überformen, dann plastisch werden. Diese Bildmoleküle sind es, die die Leinwand in die Tiefe des Zuschauerraums strukturieren, dem Film den Anschein von Dreidimensionalität und der Handlung Schwung geben. Die Augen der Jackie Brown kullern aus dem Gesicht, der Revolver verwandelt sich in einen metallenen Mund, die Dialoge versickern ineinander und werden nur durch einzelne Wörter rhythmisiert. “Fuck ya” durchzieht die Tonspur. Peng – Marijke van Warmerdam stößt ein leises Oh aus, als wäre sie selbst getroffen worden.
Echte Cineasten sitzen in der ersten Reihe. Die kraftvolle Alltagsprosa amerikanischer Cowboy- und Gangsterfilme war Rolf Dieter Brinkmanns Dichterschule. Er saß ganz vorne auf den billigen Plätzen und entdeckte, daß Sprache Bilder erzeugt und daß Bilder in Sprache aufgelöst werden können. Im klimatisierten Multiplex sind Wahrnehmungsbrüche nicht mehr möglich, weil zwischen Zuschauern und Leinwandhelden eine Erlebnistotalität simuliert wird, deren Mosaik nicht aus Realitätsfragmenten, sondern aus Wunschprojektionen besteht. Eine Folge dieser Technisierung der Wahrnehmung ist, daß die Hollywood-Charaktere immer flacher und einfältiger werden, um den im Erlebnisraum Kino frei flottierenden ZuschauerInnen emotionale Parkplätze zu geben.
Film – das Medium epischer Verknappung
Schnitt. Ein Mann duscht. Im unterirdischen Bahnhof des Amsterdamer Flughafens Schiphol. Jeden Tag 12 Stunden seit 1995. So lange steht die Dauerinstallation bereits. Das Wasser klebt an seinen…