ALMOST ALIVE
Hyperrealistische Skulptur in der Kunst
Kunsthalle Tübingen 21.07. – 21.10. 2018
von Hans-Dieter Fronz
Die junge Frau am Boden scheint zu schlafen. In entspannter Haltung liegt sie da. Wenn sie sich jetzt nur ein wenig regte; wenn sich ihr Brustkorb beim Atmen höbe oder ihrem Mund traumverlorenes Murmeln entstiege: Man wäre überrascht – und doch auch nicht, so lebenswahr wirkt John de Andreas auf weißem Sockel wie auf einer Matratze hingestreckte Aktfigur. Das Haar ist wirkliches Menschenhaar, der feingliedrige Leib aus Bronze, mit Ölfarbe bemalt.
Wer die Ausstellung „Almost Alive“ in der Kunsthalle Tübingen besucht, weiß, was ihn erwartet: hyperrealistische Skulpturen. Doch angesichts der „beinahe lebendigen“ Aktfigur am Beginn des Parcours will es einen Moment lang nicht undenkbar erscheinen, dass Lisa (2016) eine Performance ist, mit einer sich schlafend stellenden jungen Frau. Der Sinn und Zweck der Performance könnte die prickelnde Ungewissheit des Besuchers über die Beschaffenheit jeder einzelnen Skulptur im Fortgang des Parcours sein: Mensch – oder nur menschenähnliche, tote Materie.
Denn der Anschein des Lebendigen ist das Faszinosum hyperrealistischer Skulptur, dieser Zwillingsschwester des Fotorealismus in der Malerei. Ihren Siegeszug um den Globus trat die Kunstrichtung 1972 an, als Harald Szeemann ihr bei der documenta 5 in Kassel mit Werken ihrer amerikanischen Pioniere Duane Hanson und George Segal einen ersten großen Auftritt bescherte. Die Ausstellung in Tübingen ihrerseits bietet zum ersten Mal einen breiten Überblick von den Anfängen in den Sechzigerjahren bis zur Gegenwart.
Entstanden ist die Schau in Kooperation mit dem Tübinger Institut für Kulturaustausch. In partiell anderer Gestalt war sie seit…