Pia Wiegmink:
Alles nur Theater?
Über das Verhältnis von Protest und Performance
Während das Demonstrieren auf der Straße für oder gegen eine konkrete politische Realität oder Sache auf den ersten Blick wenig mit Theater als darstellendes Spiel, als Repräsentation einer fiktiven Welt auf der Bühne oder gar mit Performance Art, der theatralen Gattung der Bildenden Künste, zu tun haben scheint, ist eine nähere Betrachtung des diskursiven Feldes von Protest und Performance durchaus erkenntnisreich. Versteht man Performance zuerst einmal als eine bestimmte Form der Darstellung oder Aufführung in der eine Handlung von Akteuren vor einem Publikum ausgeführt wird, so erscheint es durchaus plausibel, den politischen Akt des öffentlichen Protests begrifflich als „Performance“ zu denken. Ausgehend von dem Begriff der Aufführung soll im Folgenden über mögliche Gemeinsamkeiten und Koaleszenzen von Protest und Performance als politische wie auch kulturelle Praktiken reflektiert werden.
1. Protest als kulturelle Aufführung
Das Verständnis von „Kultur als Aufführung“1, wie es unter anderem in der deutschen Theaterwissenschaft und in den amerikanischen Performance Studies konzeptionalisiert wurde, nutzt Theater als ein Modell für andere kulturelle Vorgänge und Interaktionen. Solch ein kulturelles Modell ermöglicht die Betrachtung nicht konservierbarer, vergänglicher kultureller Prozesse, welche im Gegensatz zu fixierten, dauerhaften kulturellen Objekten, wie beispielsweise Bildern oder Skulpturen, nicht unabhängig von ihrem Produktionsprozess betrachtet werden können.2 Während sich z.B. das Malen eines Bildes meist räumlich wie zeitlich unabhängig von seiner Betrachtung als Kunstwerk ereignet, beschreiben „kulturelle Aufführungen” (cultural performances)3 Ereignisse, in denen Menschen anderen etwas vorführen. Kulturelle Aufführungen, wie z.B. Theateraufführungen, Paraden oder Sportveranstaltungen, sind ephemere Ereignisse, in…